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Regisseur Carlos Saura wird 85

02.01.2017, 05:00
Carlos Saura arbeitet seit vielen Jahren an einem Film über Pablo Picasso. Foto: Sergei Chirikov
Carlos Saura arbeitet seit vielen Jahren an einem Film über Pablo Picasso. Foto: Sergei Chirikov EPA

Madrid - An die Rente denkt Carlos Saura auch kurz vor seinem 85. Geburtstag noch lange nicht.

Wenn der spanische Filmregisseur am 4. Januar in seinem Haus im Dorf Collado Mediano rund 50 Kilometer nordwestlich von Madrid im Kreise der Familie die Kerzen auspustet, wird er wohl nur kurz von seinen vielen Plänen abgelenkt werden. Er wolle weitere Musikfilme unter anderem in Russland und Indien drehen, verriet Saura nämlich jüngst in einem Interview.

Und da ist auch noch das ganz große Projekt, das nach vielen Jahren und äußerst schwieriger Finanzierungssuche in den nächsten Monaten wohl endgültig in Gang kommen wird: Ein Streifen über das Leben des spanischen Malers Pablo Picasso und dessen Antikriegsgemälde „Guernica” mit Hollywoodstar Antonio Banderas in der Hauptrolle. Wer rastet, der rostet, lautet die Devise des Altmeisters: „Ich drehe Filme, um am Leben zu bleiben”, sagte Saura der Zeitung „El País”.

Erst im Oktober feierte sein vorerst letzter Streifen, das Dokumentar-Musical „La Jota” (J: Beyond Flamenco) - ein Tribut an den Jota-Tanz seiner Heimat Aragonien - Uraufführung. Es war Sauras insgesamt 45. Film seit den Anfängen im Jahr 1955 und nach Würdigungen von Flamenco, Tango, Fado usw. auch der x-te Musik- und Tanzstreifen des Regisseurs. Warum so viele Musikfilme? „Meine Mutter war Konzertpianistin, ich bin ein frustrierter Musiker, habe aber großes Musikverständnis. Und es gibt ja auch die Nachfrage.”

In Deutschland war neben „Züchte Raben ...” (1975) vor allem „Carmen” (1983) ein Hit. Zum Ballett-Film über eine Aufführung von Georges Bizets berühmter gleichnamiger Oper, der seinerzeit ganz Europa in Flamenco-Fieber versetzte, kommentierte Saura jüngst: „Es war verrückt, wie gut Carmen damals in Deutschland ankam. Und der Film wird im Fernsehen immer noch gezeigt, während er hier in Spanien schon total in Vergessenheit geraten ist.” Überhaupt sei er im Ausland „viel bekannter und beliebter” als in seiner Heimat.

Er wird das mangelnde Interesse des großen Publikums in Spanien verkraften, denn die Auszeichnungen fliegen ihm (auch in der Heimat) nur so zu. Zwei Mal bekam er in Berlin den Silbernen Bären (1966 und 1968), 1981 auch den Goldenen für „Los, Tempo!”. Er gewann mehrere Male den spanischen Filmpreis Goya, in Cannes erhielt er unter anderem den Großen Preis der Jury 1976 für „Züchte Raben ...”, 1985 den BAFTA-Award für „Carmen” als besten fremdsprachigen Film und 2004 für sein Lebenswerk auch den Europäischen Filmpreis.

Schon in seinen ersten längeren Spielfilmen wie „Los Golfos” (Die Straßenjungen/1959) oder „La Caza” (Die Jagd/1965), für den er 1966 in Berlin mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, setzte sich Saura mit dem spanischen Bürgertum und der Franco-Diktatur kritisch auseinander. Der Mann, der von kommunistischen Filmemachern, deutschen Expressionisten, Neo-Surrealisten und vor allem von seinem über 30 Jahre älteren Freund und Lehrmeister Luis Buñuel beeinflusst wurde, ist heute immer noch ein unermüdlicher Sozialkritiker.

Die Liste der Dinge, die Saura in seiner Heimat immer wieder an den Pranger stellt, ist lang: Die Korruption, „die in der spanischen Familie ihren Ursprung hat”, das mangelnde Kulturbewusstsein der Spanier („Wir sind ein barbarisches und faules Land”), das Verhalten der aktuellen Spitzenpolitiker, die sich 2016 bei TV-Debatten wie „Kneipenrüpel benommen” hätten, und auch das Fernsehen, das „indirekte Zensur” betreibe und unbequeme Themen meide.

Aber der Mann, der nicht nur von der Zeitung „La Voz de Galicia” als „lebende Legende” gewürdigt wurde, beschränkt sich nicht aufs Filmen und Kritisieren. Ein Multitalent, hat er als junger Mann Ingenieur-Wissenschaften studiert und gemalt, bevor er es auf Anregung seines älteren Bruders, des 1998 mit 67 Jahren gestorbenen berühmten Malers Antonio Saura, mit dem Film versuchte.

Sauras liebste Beschäftigung ist aber das Fotografieren. Er besitzt eine Sammlung von mehr als 600 Kameras, macht „jeden Tag mindestens ein Bild, um nicht aus der Übung zu kommen”, und stellt seine mehrfach ausgezeichneten Foto-Sammlungen auch regelmäßig aus.

Damit aber nicht genug: Er veröffentlichte zwischen 1997 und 2004 drei Romane, schrieb außerdem mehrere Drehbücher und veröffentlichte auch Bücher über Fotografie. Er inszenierte mehrfach die Oper „Carmen” (sein Debüt feierte er hier 1991 in Stuttgart) und führte 2013 in einem Madrider Theater Regie. „Ich habe immer etwas vor. Und wenn es mal nichts gibt, erfinde ich etwas”, erzählte in einem Interview der in Huesca geborene Sohn eines Ministeriums-Juristen.

Das Privatleben von Saura war unterdessen ebenso bewegt wie das künstlerische und berufliche. Mit insgesamt vier Partnerinnen, darunter der US-Schauspielerin Geraldine Chaplin, mit der er bis 1979 zehn Jahre lang zusammenlebte, zusammen arbeitete und Sohn Shane (1974) hatte, zeugte er insgesamt sieben Kinder. Der passionierte Motorradfahrer ist allerdings zumindest in Sachen Beziehungen ruhiger geworden. Bereits seit 1993 ist er mit der 28 Jahre jüngeren spanischen Schauspielerin Eulalia Ramón zusammen. (dpa)