Reformationsjubiläum in Wittenberg Reformationsjubiläum in Wittenberg: Mythos Bildersturm

wittenberg - Mit dem Reformationstag beginnt am Sonnabend das letzte „Themenjahr“, bevor die „Lutherdekade“ ihrem Höhepunkt zueilt, dem Reformationsjubiläum. 500 Jahre Thesenanschlag gilt es 2017 zu feiern (oder dem Ereignis, aus katholischer Sicht, ein „Gedenken“ zu widmen), auch wenn die wissenschaftliche Debatte, ob das Ereignis überhaupt in der bekannten Weise stattfand, in den letzten Jahren wieder heftig entbrannt ist. Im Blick auf „Bild und Bibel“, den Gegenstand des abgelaufenen Themenjahrs, ist es angebracht, einen anderen populären Mythos anzugehen, den „Bildersturm“.
Noch bis in neuere Geschichtswerke hinein, erst recht in populären Medien, wird nicht selten detailreich ausgeschmückt, was sich am 6. Februar 1522 in Wittenberg abgespielt haben soll, zur Zeit als Luther „im Reich der Vögel“ auf der Wartburg saß. Eine Menge, aufgepeitscht unter anderem von einer Predigt des reformatorischen Heißsporns Karlstadt wider die Anbetung von „Ölgötzen“, soll in die Stadtkirche eingedrungen sein, Bilder aus den Altären gerissen und Heiligenfiguren zertrümmert haben. „Reformationsbotschafterin“ Margot Käßmann sieht darin noch immer Anlass zur Entschuldigung, in einem Interview zu Beginn des Themenjahres: „Der Bildersturm ist eine traurige Geschichte ... Die Bilder zu zerstören schmerzt, weil sie ein Kulturgut sind.“
Zweifel an der Überlieferung
Vielleicht muss sie sich aber gar nicht entschuldigen, zumindest nicht für Wittenberg? Vielleicht ist der Bildersturm von 1522 nur eine historische Konstruktion, an der vor allem einer beteiligt war, nämlich Luther selbst? Zweifel an der gängigen Überlieferung gibt es bei einigen Historikern, darunter Thomas Kaufmann. Der hält Karlstadt sogar für eine zügelnde Kraft.
Denn vor dem angeblichen Bildersturm gab es – und dies ist belegt – die Aktion der zur Reformation übergetretenen Augustinermönche, die die Altarbilder aus ihrer eigenen Klosterkirche holten und auf dem Hof verbrannten. Kurz danach verabschiedet der Rat, unter Mitwirkung Karlstadts, eine Stadtordnung, die besagt, dass „die bild und altarien söllen abgethan werden“, aber eben nicht im Aufruhr, sondern in geordneten Bahnen.
Der Bildersturm gilt als ein Teil der „Wittenberger Bewegung“, bei der der reformatorische Eifer aus dem Ruder läuft, Studenten die Messen im Allerheiligenstift (der Schlosskirche) stören, und Karlstadt am Weihnachtstag daselbst erstmals Messe in Alltagskleidung hält und Abendmahl mit Brot und Wein („in zweierlei Gestalt“) nicht nur ausreicht, sondern die verunsichert reagierenden Gläubigen in die Hand nehmen lässt. Von zwei oder drei „Zwickauer Propheten“ ist die Rede, die aufrührerisch predigend durch die Stadt gezogen sein sollen. Anfang März kehrt Luther im hohen Maße alarmiert zurück und – so geht die Sage – beruhigt die Gemüter durch seine Predigten und nimmt die Auswüchse der Reformen zurück.
Doch diese Darstellung vom Verlauf der Ereignisse ist „nur eine von vielen zeitgenössischen Wahrnehmungen, welche sich gegen andere, konkurrierende Sichtweisen durchsetzte, die in Vergessenheit gerieten.“ Und es handele sich dabei „namentlich um die Sichtweise Luthers.“ Das sagt die derzeit in Erlangen tätige junge Kirchenhistorikerin Natalie Krentz, deren Dissertation über die Wittenberger Bewegung 2013 mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Mit Recht, wie man bei der Lektüre der als Buch veröffentlichten Arbeit bald feststellt, angesichts eines souveränen Umgangs mit Quellen und einer überzeugenden Beweisführung.
Das turbulente Treiben der Studenten zum Beispiel ist nicht auf diesen engen Zeitraum begrenzt, sondern eine dauerhafte Begleiterscheinung der Zeit. Die Legende von den Zwickauer Propheten hat unabhängig von ihr schon Thomas Kaufmann auseinandergenommen. Es gab ein oder zwei Schwarmgeister von dort, die in Wittenberg Kontakt zu den Reformatoren suchten, aber nennenswerte Resonanz hatten sie nicht.
Stichhaltige Belege fehlen
Krentz verweist auf das Fehlen stichhaltiger Belege einer Zerstörungsaktion. Zwar wird ein Schriftstück gerne zitiert, das besagt, Bilder seien „blutzlich weggebracht, zuhawen unnd verbrannt“ worden, doch ist dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen. Es äußert sich Kurfürst Friedrich gegenüber seinen Räten, er sagt, in Gänze, die Bilder seien „nit also ... weggebracht“ worden, das sei so gesagt, aber dann dementiert worden.
Luther, sagt Krentz, stellt schon in seinem Brief, in dem er auf Geheiß des Kurfürsten seine (von ihm unerlaubte) Rückkehr dem Kaiser gegenüber rechtfertigen soll – und so reichsweit Aufmerksamkeit bekommt – seine Sicht auf die Ereignisse dar. Er sieht sich im Kampf mit dem Satan, will die Reformen zurücknehmen. Tatsächlich aber hatte im Februar in Eilenburg eine große Runde von kurfürstlichen Räten, Professoren, Stifts- und Ratsherren eben das in großen Teilen schon beschlossen. Luthers „Invokavit Predigten“ (von der Woche nach Fastensonntag) waren vielmehr der letztlich erfolgreiche Versuch des Reformators, die theologische Führungsrolle wiederzugewinnen.
Zeitgenössische Berichte geben die Wirkung wieder, die Luthers Auftreten hatte. „Süß und klangvoll“ habe er gesprochen, „die Menschen auf den Weg der Wahrheit gewiesen“. Luthers Argument, man müsse „die Schwachen schützen“, die Reformen behutsam angehen, ließ Karlstadt erst recht als den Radikalen dastehen, als den, der den Bildersturm gepredigt hatte. Die Predigten, fasst Krentz zusammen, „waren ein symbolischer Akt“. Luther wird dadurch „unumstrittenes geistliches Oberhaupt.“ Und „diese Wirkung hatte langfristig Bestand.“
Natalie Krentz: „Ritualwandel und Deutungshoheit, Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg“, Tübingen 2014, 433 Seiten, 99 Euro (mz)