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Rap Rap: Eminem hat sich jetzt selbst als Waffe entdeckt

Von Andrej Sokolow 16.11.2004, 12:05

Hamburg/dpa. - Eminem, Skandalrapper und Schreck der braven Amerikaner, hat es wieder getan: Auf seiner vierten CD «Encore» teilt er erneut mächtig aus. Im Visier sind diesmal vor allem US-Präsident George W. Bush und Michael Jackson. Dazu wie gewohnt viele Obszönitäten, Gewalt, trockener Humor, Gerülpse und Gewürge.

Neu sind zwei Dinge: Überraschend durchfühlte politische Botschaften und eine sanfte Seite des rappenden Vaters Eminem, der inzwischen drei Kinder in seiner Obhut hat.

Mit «Encore» betritt der 32-jährige Eminem eine ganz neue Reifephase. Nach der egozentrischen Kindheitsverarbeitung und erbitterten Privatfehden wie mit seiner Ex-Frau Kim oder Teenie-Idol Britney Spears gibt es diesmal politische Rap-Salven. Die gesellschaftliche Provokation weicht echter Wut. Das Hauptziel: Präsident Bush. Eminem hat sich selbst als Waffe entdeckt und schießt sich auf den einzigen Gegner ein, den er noch als ebenbürtig empfindet - den mächtigsten Mann der Welt. Schließlich hat Eminem ungefähr so viele Platten verkauft wie Bush Stimmen bei seiner Wiederwahl bekam - gut 50 Millionen.

«Gebt dem Präsidenten eine AK-47. Lasst ihn seinen eigenen Krieg kämpfen und Daddy auf diese Weise beeindrucken», heißt es in dem Song «Mosh». «Wie konnten wir dieses Monster, diesen Feigling an die Macht bringen.» Eminem veröffentlichte das Lied eine Woche vor der US-Präsidentenwahl als Wahlkampfbeitrag.

Die größte Neuentdeckung ist aber der Familienmensch Eminem. Nach der Scheidung von Kim hat der bürgerlich Marshall Mathers heißende Star zur Hälfte das Sorgerecht für deren gemeinsame Tochter Hailie Jade, die bald neun wird, sowie das volle Sorgerecht für seine achtjährige Nichte Alaina. Außerdem wohnt bei Eminem sein 18-jähriger Halbbruder Nate, der mit 9 Jahren ins Heim gekommen war.

«Ich versuche, den Kindern das zu geben, was ich selbst nicht hatte: Liebe und Wohlstand», sagte Eminem jüngst dem Musikmagazin «Rolling Stone» in einem seiner seltenen Interviews. Wie ein ganz normaler Vater geht der von US-Konservativen auch mal als Ausgeburt der Hölle bezeichnete Schockrapper zu Schulaufführungen oder Ausflügen. «Neulich habe ich vor der Klasse zwei Bücher vorgelesen. Die Lehrer sagen dann: "Wenn Hailies Dad kommt, ist er nur Hailies Dad, Mr. Mathers."» Hailie ist mit «Mockingbird» auch ein überraschend gefühlvoller und sanfter Song gewidmet, in dem Eminem seine Liebe zu ihr bekennt und die von Schmerz und Streit geprägte Beziehung zu ihrer Mutter zu erklären versucht. «Mein bisher emotionalster Song», sagt Eminem.

«Es ist wie Jonglieren - Jonglieren mit dem Rapper-Leben und der Vaterschaft», gibt Eminem Kompromisse zu. Das an ein Wiegenlied angelehnte «Mockingbird» endet denn auch standesgemäß mit einem typischen Eklat, einer Warnung an alle, die sein Kind enttäuschen sollten: «Don't f... with Dad» - «Leg' dich nicht mit Papa an», freundlich übersetzt. Eminem bleibt eben ein Meister der bösen Provokation. Schon das Booklet hat es in sich. Da ist ein Eminem zu sehen, der von der Bühne aus mit einer Pistole in das feine Premierenpublikum feuert. Zwischen den einzelnen Songtexten sind Bilder getöteter oder verwundeter Zuschauer. Dem jahrelangen musikalischen Amoklauf folgt der visuelle. Dazu eine apokalyptische Vision von der Schießerei in einem Club im Song «One Shot 2 Shot».

Natürlich würde Eminem bei allem Ernst nie eine Spitze gegen seine Erzfeinde auslassen. Kim erzählt er einen Song lang, wie sehr er sie verabscheut. Britney bescheinigt er, Schultern wie ein Mann zu haben. Im Video zu seiner neuen Single «Just Lose It» greift er die Kinderschändungsvorwürfe gegen Michael Jackson auf und lässt dem «King of Pop» nebenbei die künstliche Nase abfallen.

Musikalisch hat sich einiges verändert. Geblieben sind der markante Sprechgesang, die Wiederholungen und der Rhythmus. Der Sound ist aber voller und abwechslungsreicher geworden, als wäre es ihm zu eng in der Eminem-Schublade geworden. «Ich bin ein Trend, ich setze jedes Mal einen», zeigt er sich in einem der Texte selbstbewusst.