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Rainald Grebe Rainald Grebe: Diktator der Herzen

Von STEFFEN KÖNAU 11.02.2011, 18:48

Halle (Saale)/MZ. - Am Anfang geht er erstmal angeln. Rainald Grebe, 39 Jahre alter Lehrersohn aus dem Rheinland und ehemals Kurzzeit-Hallenser, singt ein Loblied auf die einfachen Freuden des fröhlichen Fischens: "Meine Olle sitzt zu Hause, ich sitze am Stausee". Bei Grebe, einem begnadeten Murmler und Buchstabenzerkauer, reimt sich das sogar, wirklich.

Für Album Nummer 7 in ebenso vielen Jahren hat der Pianist mit dem tunneldunklen Humor seine "Kapelle der Versöhnung" genannte Band erweitert und zu einem neunköpfigen Orchester mit gleichem Namen aufgebohrt. Der Einfachheit halber und vielleicht auch, weil das die Rockgiganten früher traditionell so hielten, heißt das Werk, das 13 neue Stücke versammelt, auch gleich so. "Rainald Grebe & das Orchester der Versöhnung" spielt den Blues von der verpassten Gelegenheit, den Rock'n'Roll vom Rückblick. "Ich bin noch ohne GPS gewandert, hab halt öfter nach dem Weg gefragt", knödelt der muntere Analyst aktueller Zustände, "hat es mir geschadet, hat es mir geschadet?"

Grebe, trotz offensiv getragenem Häuptlingsschmuck keine typische Frontman-Figur, ist der Poet des Vergeblichen, ein Sänger mit kleiner Stimme und großem Hang zu ironischer Romantik. Zwischen "Prenzlauer Berg" und "Sachsen-Anhalt", dem er diesmal endlich eine Hymne widmet, wie sie Sachsen, Thüringen und Brandenburg längst haben, entdeckt Rainald Grebe die Gegenwart als einen bizarren Ort. Opas um die 70 fahren nach Hawaii zum "Iron Man", Mädchen heißen Mandy und "Mike aus Cottbus" (Liedtitel) macht "tagsüber Gas Wasser Scheiße". Ist aber nachts "der geilste Klempner zwischen Neiße und Pleiße".

Aus dem Klavier-Käfig seines "Abschiedskonzerts", mit dem Grebe seine Kabarettkarriere startete, hat sich der 39-Jährige befreit. Mit Buddy Casino, ehemals Keyboarder bei Helge Schneider, und seiner Stammband aus Schlagzeuger Martin Brauer und Gitarrist Marcus Baumgart kann der studierte Puppenspieler die Puppen zu allen Rhythmen tanzen lassen. "Auf Tour" ist ein flotter Pop-Song, in dem von Bernd, dem Brot, und dem Fernsehstar Hitler die Rede ist. "Diktator der Herzen" spielt sich dagegen als Reggae auf und "Rolf" ist eine Flüsterballade mit Streichern und Samtstimme.

Vom Sound her bleibt der Wahlberliner immer nah an der Kleinkunst, an Liedermacherei und Jazz-Chanson. Nur gelegentlich bricht der Rocker aus, den Grebe einst in "Beng bängt" so schön gespielt hatte. In "20. Jahrhundert", jenem an Billy Joels Hit "We Didn't Start the Fire" erinnernden Stakkato-Nachruf auf die Zeit von "Ehrmann, keiner macht mich mehr an" und "Haribo macht Kinder froh", knallen die Gitarren, ein spröder Chor brüllt und Rainald Grebe erzählt die längst vergessene Geschichte vom "Münzfernsprecher und die Schlange davor".

Ja, das waren noch Zeiten, das waren noch Erlebnisse. Heute dagegen geht es "Auf Tour" (Liedttitel) zur "Comedy-Night in der Rotkäppchen-Sektfabrik" und der Künstler bemerkt trocken: "Kultur macht vor nichts halt in dieser Republik". Die ist sein "Liedgebiet" (Grebe), sein Beobachtungsraum, den er wie ein Insektenforscher unter sein Mikroskop legt. "Ich seh die Penner vor Rewe und die Schnösel auf Sylt", bemerkt er dann, "der Penner hängt rum und der Schnösel der chillt."

Kabarett, von den Giganten des leichten Geschwätzes zur "Comedy" geliftet und zur reinen Spaßfabrik umgebaut, wird hier wieder zum Tarnbegriff für Gesellschaftsanalyse. "80 Millionen Parallelgesellschaften" zählt Grebe, dem nichts heilig ist, nicht einmal Sachsen-Anhalt, das ihn seinerzeit grusliges Hoftheater für Ferienkinder machen ließ. Geblieben davon ist die Erinnerung an "die Erde der Börde, fruchtbar und schwarz, Kartoffeln bis zum Harz", wie es in der brüchigen Hymne auf die Kurzzeit-Heimat heißt. Kein Liebeslied, eher ein genölter Nachruf: "Händel war aus Halle, aus Dessau war Kurt Weill, war, war, war, war mal geil."

Rainald Grebe stellt sein neues Album am kommenden Donnerstag in der Händel-Halle in Halle vor.