«Rache am Chef» Wenn der Arbeitsplatz zum «Tatort» wird
Berlin/dpa. - Berlin - «Tatort» Arbeitsplatz: Frustrierte, von Chefs gedemütigte Arbeitnehmer schlagen zunehmend zurück. Schlagzeilen machen extreme Fälle. So spendierte ein gefeuerter Systemadministrator dem betriebsinternen Netz auf einen Schlag 11 000 Viren. Ein entlassener Brite schickte seiner Exfirma mit Hilfe eines Mail-Bomben-Programms in vier Tagen fünf Millionen E-Mails. Ein Mitarbeiter versuchte einen Profikiller auf seinen Chef anzusetzen, in den USA erschoss 2006 eine gefeuerte Postangestellte sechs Menschen in ihrem Postamt.
Jenseits solch spektakulärer Fälle ist «Rache am Chef» aber weitgehend noch ein Tabuthema, das, wie Susanne Reinker in ihrem gleichnamigen Sachbuch dokumentiert und analysiert, inzwischen zu einem Massenphänomen auch in Deutschland geworden ist. Dabei zeichnet sie anschaulich nach, wie Rachegefühle entstehen: Arbeitnehmer fühlen sich vom Chef ungerecht behandelt oder öffentlich bloßgestellt, sie werden unter- oder auch gezielt überfordert, es fehlt an Lob und Anerkennung ebenso wie an konstruktiver Kritik.
Die Folge: Die Motivation sinkt, Demotivation wächst, es folgt die innere Kündigung. Verletztes Ehr- und Selbstwertgefühl können Racheakte in vielfältiger Form auslösen - von Klatsch und Tratsch angefangen, über passiven Widerstand wie das «Vergessen» der Weitergabe wichtiger Informationen an den Chef bis zum gezielten Sammeln und Protokollieren von Fehlverhalten des Chefs und der Weitergabe an dessen Vorgesetzten. «Allein die gut 30 Millionen Mitarbeiter, die sich wegen Dauerfrust in die innere Kündigung verabschieden und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, verursachen jährlich Produktivitätsverluste in dreistelliger Milliardenhöhe», schreibt Reinker.
Als Hauptgrund für solche Eskalationen sieht sie «kollektive Unbelehrbarkeit in Chefetagen». Es herrsche oft ein Casino- Ton, Mitarbeiter würden unter Chefs schnell als inkompetent, faul, überfordert oder ungebildet abgestempelt. Warum zur Arbeit motivieren? «Dafür werden Sie schließlich bezahlt», lautet eine Stereotype. Warum denn loben? «Wenn alles gut läuft, ist das der Rede nicht wert, dafür werden Sie schließlich bezahlt...». Und: Vorgesetztenjobs würden oft als Belohnung für fachliche Leistungen vergeben. Personalführung werde von solchen Chefs als lästige Nebenaufgabe betrachtet. Selbst Akademiker gingen mit einer Art fröhlicher Unbedarftheit daran und vertrauten auf «Personalmanagement by Bauchgefühl».
Die «Masters of Desasters» sind also meist schuld, wenn es Fehlententwicklungen gibt, betont Reinker. Denn Faulheit oder mangelnde Motivation sind nicht a priori für Mitarbeiter typisch, sonst hätten sie sicherlich einst nicht einmal die erste Bewerbungsrunde überstanden. Die Autorin, die als Quellen zahlreiche Studien auch aus dem angelsächsischen Raum sowie Internet-Bloggs ausgewertet hat, fasst das Urteil der Experten so zusammen: «In groben Zügen steht fest, dass Motivation auf den Grad der Zufriedenheit im Job zurückzuführen ist. Der wiederum ergibt sich aus der Größe des Handlungsspielraums, dem Anspruch der Aufgaben, dem "sozialen Lohn" also Status, Anerkennung, Freundschaften - und dem finanziellen Lohn. Wobei die reine Kohle mit nur 10 Prozent der schwächste Motivationsgrund ist, jedenfalls wenn das Gehalt nicht existenzbedrohend niedrig ist.»
Reinker, Autorin des «Job-Lexikons» und des Ratgebers «Unkündbar!», hat mit der «Rache am Chef» ein besonders heikles wie aktuelles Thema gewählt. Der Schreibstil wirkt zwar munter, bisweilen keck und betont unterhaltsam, doch dann macht eine einzige Zahl die Ernsthaftigkeit der Problematik deutlich: Laut einer DAK-Statistik stiegen die Arbeitsunfähigkeitstage ihrer Mitglieder auf Grund psychischer Erkrankungen zwischen 1997 und 2004 um 69 Prozent. Reinker nennt keine Patentrezepte. Gegenseitiger Respekt, freundliche Umgangsformen und eine professionelle Personalführung und - entwicklung können aber zu einem guten Betriebsklima beitragen. Ihr Buch sollte für Mitarbeiter und Chefs Pflichtlektüre werden.
Susanne Reinker: Rache am Chef. Die unterschätzte Macht der Mitarbeiter Econ Verlag, Berlin 204 S., Euro 16,95 ISBN 13: 978-3-430-20013-4 (dpa)