1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Querkopf mit Herz: Querkopf mit Herz: Marius Müller-Westernhagen begeistert Fans in Arena Leipzig

Querkopf mit Herz Querkopf mit Herz: Marius Müller-Westernhagen begeistert Fans in Arena Leipzig

Von Mathias Schulze 26.08.2018, 21:16
„Komm, lass uns lieben“: Marius Müller-Westernhagen bei seinem Akustik-Konzert in Leipzig
„Komm, lass uns lieben“: Marius Müller-Westernhagen bei seinem Akustik-Konzert in Leipzig Dirk Knofe

Leipzig - Noch bevor das Konzert beginnt, erinnert die Gegenwart an ihre medialen Schlachtfelder. Die Bitte, nicht mit Handys und Smartphones zu filmen, wird von einigen Besuchern in der mit Stühlen ausgestatteten und ausverkauften Arena Leipzig schon während des ersten Songs in den Wind geschlagen. Die Versuchung, etwas festzuhalten, scheint zu verlockend.

Der Opener, Johnny Cashs „The Man comes around“, bereitet etwas Messianisches vor. Sieht sich Marius Müller-Westernhagen, Jahrgang 1948, in der Rolle eines apokalyptischen Reiters? Keine Frage, man könnte auch eine Nummer kleiner anfangen. Gute zweieinhalb Stunden später sind alle Zweifel pulverisiert. Westernhagens MTV-Unplugged-Auftritt wird in Leipzig in gleicher Weise von einer ekstatischen Stimmung wie von einer intimen Nähe getragen.

Die Engel singen, die Donnerstimme richtet, die Offenbarung, vor allem die des Künstlers, gelingt. Ein außergewöhnlich gutes Konzert. Mit „Für ’ne bessere Welt“ (1989) startet er die Reise durch sein Werk. Westernhagen sitzt: die Gitarre in der Hand, den weißen Cowboy-Hut auf dem Kopf. Die tiefe, autoritäre Reibeisenstimme lässt die Jahrzehnte auferstehen - noch nie scheint sie so gut, so abgehangen geklungen zu haben, Aktualisierungen inklusive: „Baby, lass uns Trump verjagen / Für ’ne bessere Welt“. Das Publikum, quer durch die Generationen, beginnt sich zu erheben. Gleich werden alle stehen.

Natürlich mit Pfefferminz

Nur gibt es nun keine stadionfüllende Hottentotten-Show. Im gedimmten Licht sitzen die Musiker auf Stühlen, die 14-köpfige Band, inklusive Background-Chor, lässt das Zusammenspiel von Bass, Schlagzeug, Akkordeon, Querflöte, Geige, Mundharmonika, Saxophon oder Flügel zum familiär anmutenden Ereignis werden. Der Eindruck, wonach sich hier Meister des Faches zur nächtlichen Verausgabung im Hobbykeller getroffen haben, wird durch einen glamourösen Las-Vegas-Stil ergänzt. Blues, Country, Jazz. Immer wieder zeigen die Videoleinwände Nahaufnahmen von Westernhagen. Die Augen sind oft geschlossen, über „Hass mich oder lieb mich“ geht es zum „Ladykiller“, es folgt „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“.

Schon nach vier Songs kitzeln kollektive Gänsehautmomente die letzte Entschlossenheit aus dem Publikum. Menschen stürmen nach vorn, Westernhagen muss die Security zurechtweisen: „Lasst die Leute durch, sonst höre ich auf. Wir sind hier nicht mehr in der DDR.“

Weggefährten kennen seine Ansagen, die Gestik und Mimik: Westernhagen spielt damit ironisch. Es ist, als inhaliere er noch einmal in vollen Zügen seine gesammelten Erfahrungen. Immer wieder funktioniert der Publikumschor, es ist ein Dankeschön im rauschhaften Modus. Ab und an schaut der Künstler wie ein staunendes Kind ins euphorisierte Leipziger Rund. Es ist, als zeige sich der Frauenheld aus dem Song „Sexy“, der Superstar, der zurück auf die Straßen und „nicht schön, aber geil und laut“ singen will („Mit 18“), zum ersten Mal offenherzig persönlich. So perlt Menschliches in eine Coolness, die der hagere Lebemann auch heute noch mit ein paar Hüftwacklern zum Besten gibt.

Als „Lass uns leben“ mit den Anfangszeilen „Sie reden wieder mal vom Krieg / Träumen wieder mal vom Sieg / Schwärmen von vergangner Zeit“ erklingt, vibriert eine wuchtige und befreiende Atmosphäre durch die Arena. Für Momente scheint eine Antwort auf den Dreck der Tage gefunden zu sein: „Komm, lass uns lieben, / Lass uns lieben, / Lass uns lieben, immer mehr“.

Hymnisch und feinfühlig

Westernhagen, der Querkopf mit Herz. Er erzählt davon, dass die jüngere Generation die Weltkriege und die deutsch-deutsche Mauer wohl schon vergessen hätte. Er fordert die gelebte Demokratie auf den Straßen: „Wir wollen keine Operettenclowns wie in Amerika.“ Würde nicht längst ein ausgelassener Zauber, eine unprätenziöse Magie die Arena fluten, könnten ihm Skeptiker Pathos vorwerfen.

Die großen Hits „Wieder hier“, „Johnny Walker“ und „Freiheit“ beenden hymnisch und feinfühlig ein Konzert, das alte Songs eindrucksvoll mit neuem akustischen Leben füllt. Chapeau! (mz)