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Provokanter Film über eine Vergewaltigung: "Elle"

13.02.2017, 08:02
Michele (Isabelle Huppert) will sich nach einer Vergewaltigung nicht zum Opfer machen lassen. Foto: Mfa
Michele (Isabelle Huppert) will sich nach einer Vergewaltigung nicht zum Opfer machen lassen. Foto: Mfa Mfa

Berlin - Darf man bei einem Film über eine Vergewaltigung laut auflachen? Solch eine brutale Tat und Humor passen doch eher nicht zueinander - manchmal aber eben doch, wie nun der neue Film des niederländischen Erfolgsregisseurs Paul Verhoeven eindrucksvoll zeigt.

Denn „Elle” erzählt von einer Vergewaltigung und ist Drama, Thriller und Komödie zugleich. Vor allem aber Isabelle Huppert in der Hauptrolle macht den Film zu einem Ereignis.

Die Französin spielt Michèle Leblanc, eine Frau in ihren Fünfzigern, die allein lebt und erfolgreiche Chefin eines Unternehmens ist, das Videospiele designt. Eines Tages wird sie in ihrem Haus von einem unbekannten, maskierten Mann brutal angegriffen und vergewaltigt. Es ist die Schlüsselszene des Films: Wie Michèle am helllichten Tag in ihrem noblen Pariser Zuhause zu Boden gedrückt wird. Ihre Schreie gellen durch den Altbau - doch sind es Schreie der Angst, Schmerz oder gar der Lust?

Genau dieser Aspekt hatte im Vorfeld zu Spekulationen geführt: Verhoeven werde mit „Elle” einen Skandalfilm drehen, mutmaßten einige. Eine Frau wird doch wohl nicht wirklich Lust an solch einem Verbrechen finden? Doch so einfach macht es Verhoeven weder sich noch den Zuschauern. Denn was Michèle tatsächlich empfindet, wird nie eindeutig geklärt.

Vielmehr zeigt Huppert in „Elle” eine komplexe Reaktion, die nicht vorhersehbar ist. Möglicherweise hat es auch mit ihrer eigenen, dunklen Vergangenheit zu tun, warum sie nicht zur Polizei geht. Das Entscheidende ist dabei allerdings, dass sich Michèle nicht in der Rolle des leidenden Opfers sieht und traumatisiert zurückzieht - sie will sich nicht unterkriegen und ihr Leben von dieser Tat bestimmen lassen.

Stattdessen versucht sie das Spiel aus Macht und Unterwerfung für sich selbst neu zu interpretieren. Das wird den meisten Vergewaltigungsopfern wohl nicht so leicht fallen und für einige sicher auch wie Hohn klingen. Doch der Film „Elle”, der auf einer Buchvorlage von Philippe Djian basiert, versteht sich klar als Fiktion und verweigert eine moralische Bewertung.

Hupperts präzises Spiel wird so zu dem bemerkenswerten Porträt einer starken Frau, die sich nicht an gesellschaftliche Konventionen halten will - völlig zu Recht ist die 63-Jährige für ihre intensive und glaubwürdige Leistung derzeit für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.

Auch für Regisseur Verhoeven (78) ist das Werk ein weiterer Höhepunkt seiner langjährigen Karriere. Drehte er in den 1990er Jahren Kinoerfolge wie das Actionspektakel „RoboCop” und „Basic Instinct”, in dem ebenfalls eine Frau mit ihrer Sexualität spielte, legt er mit „Elle” nun ein vielschichtiges und in mehrfacher Hinsicht überraschendes Werk vor: Ohne die Vergewaltigung herunterzuspielen gelingt es ihm, die ernste Geschichte mit leicht überspitztem Humor und einem Gespür für bizarre Situationen zu erzählen.

Michèles Erlebnisse werden mit sarkastischen Dialogen begleitet und lassen den Film fast zu einer Gesellschaftssatire werden. Als Michèle außerdem langsam erkennt, wer ihr Peiniger ist, führt das nicht zu dramatischen Konfrontationen, sondern vielmehr zu absurd-komischen Momenten. So provokant diese Herangehensweise klingen mag - „Elle” macht sich nie über die Hauptfigur oder das ihr zugefügte Leid lustig, sondern fordert vielmehr die Sehgewohnheiten und Wahrnehmungen der Zuschauer heraus. (dpa)