Politik und Privatleben Politik und Privatleben: Stets abwesend anwesend: der Vater Willy Brandt
Halle/MZ. - Nach außen, das war auch die Familie. Waren die Dienstvillen in Berlin und Bonn, in denen das Schweigen drückte. In deren äußerste Winkel sich der Berufspolitiker zur Nacht zurückzog: kleine Kammern. Vor deren Türen lebte bis 1975 die zweite Ehefrau Rut, wuchsen die Söhne heran: Peter, geboren 1948, Lars, 1951, und Matthias, 1961. Die Kinderzimmer seiner Söhne hat Brandt nie betreten.
Nun betritt Lars, der zweitgeborene Sohn, noch einmal die Lebensräume seines 1992 im Alter von 78 Jahren gestorbenen Vaters. Lars Brandt - Autor, Maler und Schauspieler ("Katz und Maus", 1966) in Berlin - durchschreitet also das Gehäuse gemeinsamer Erinnerungen. Die Bürgermeister-Jahre in Berlin 1957 bis 1966, die Kanzler-Jahre in Bonn 1969 bis 1974, gemeinsame Urlaube in Norwegen, stumme Stunden beim Angeln, aber auch die Greisen-Momente in Unkel am Rhein. Wie Dachbodentüren öffnen sich die rund 100 Prosaminiaturen, hinter denen der Vater sehr oft als der Fremde, der Andere sitzt; ein Befund, der hier einmal nicht zu sensationsheischenden Entrüstungen oder Überzeichnungen reizt.
Dass Brandt seinen Mitmenschen als ein Fremder gegenübergetreten ist, heißt ja nicht, dass er sich selbst ein Fremder gewesen war. "Für mich war V. weder Freund noch Feind. Er war Natur", schreibt Lars Brandt. Die "Verschlossenheit" des Vaters habe ihre Kehrseite in einer "Menschenseligkeit" gefunden, die hätte anrühren können, wäre sie nicht mit so sehr viel "machtbewusster Wachheit" verbunden gewesen. Sohn Lars begriff das Spiel von Distanz und Nähe, er forderte nichts darüber hinaus: "Und deswegen machte es Spaß, mit V. zusammen zu sein". Mit "V." wie "Vater" unterschrieb Brandt Zettel-Botschaften an die Kinder.
Das "Andenken"-Büchlein zeichnet die Persönlichkeit des Vaters nach. Ein Politiker amerikanischen Stils, der auf die Blitzlichter zulief, nach innen aber Verantwortung ablehnte, bis diese ihn formell erreichte. Den als Stasi-Spitzel enttarnten Persönlichen Referenten Günter Guillaume nannte Brandt von Anfang an einen "Holzkopf, mit dem ich mich nicht unterhalten kann". Folgerungen? Keine. Desinteresse waltete hier bis zur Arroganz. Ein Mangel an Anteilnahme ohnehin. Der bescherte den Söhnen auch das: wenig Gängelung in einem Alltag, der eine Kindheit war. Die zeichnet Lars Brandt: leichthändig, genau und unsentimental.