Poesie Poesie: Bei Wilhelm Busch gefriert das Lachen im Hals
Hannover/dpa. - Der «Eis-Peter» bricht beim Schlittschuhlaufen ein und wird gefroren nach Hause getragen. Dort verflüssigt sich der Eiszapfen vor dem Kamin. Die Eltern löffeln Peters Überreste in einen Krug und stellen ihn zwischen Käse und Gurken in den ...

Der «Eis-Peter» bricht beim Schlittschuhlaufen ein und wird gefroren nach Hause getragen. Dort verflüssigt sich der Eiszapfen vor dem Kamin. Die Eltern löffeln Peters Überreste in einen Krug und stellen ihn zwischen Käse und Gurken in den Vorratskeller.
«Buschs Humor ist makaber. Er konfrontiert uns mit unserer Lust am Umkommen», sagt Hans Joachim Neyer, Direktor des Wilhelm-Busch-Museums in Hannover. Noch 175 Jahre nach seiner Geburt im niedersächsischen Örtchen Wiedensahl funktioniert die Komik des wohl beliebtesten deutschen Zeichners und Dichters (1832-1908). Mit kaltem, sezierendem Blick nimmt der Eigenbrötler die Menschen inseiner Umgebung aufs Korn - ungezogene Kinder, prügelnde Eheleute,versoffene Pfarrer, scheinheilige Betschwestern und immer wiederTierquäler. Der Betrachter der Bilder prustet los und ist oftgleichzeitig erschrocken über die eigene Boshaftigkeit undSchadenfreude.
«Wie wollte man den deutschen Humor definieren, wenn es WilhelmBusch nicht gegeben hätte?», fragt der Straßburger Illustrator TomiUngerer. Das ist schwer zu überprüfen, unbestritten aber ist, dassder Künstler aus der deutschen Provinz Vorbild für die erstenmodernen Comiczeichner in New York war und später sogar Walt Disneybeeinflusste. Busch zeichnete filmisch, als an die Erfindung desKinos noch gar nicht zu denken war. «Grafische Elemente wieverknotete Arme und Beine haben sich Zeichner in Hollywood von Buschabgeschaut», sagt Neyer.
Seine Bildergeschichten waren für ihn anfangs nur «Produkte desdrängenden Ernährungstriebs», wie er es selber formulierte. AlsKunstwerke hätte er sie wohl nie bezeichnet. Dabei ist BuschsZeichentechnik meisterhaft - er erweckt mit ein paar Strichenunverwechselbare Charaktere zum Leben. Diese kleinen Slapstick-Filmehaben neben ihrer vordergründigen Komik stets eine tiefere Ebene.«Für Busch ist der Mensch ein dressiertes Tier, ein triebgesteuertesWesen», erklärt Neyer. Neben dieser durch die Lektüre von CharlesDarwin bestärkten Überzeugung findet sich auch Arthur SchopenhauersPhilosophie in den Werken wieder.
Über seine eigene Person hat Busch in seiner knappen Autobiografie«Was mich betrifft» nicht viel verraten, er bezeichnet sich darin als«Sonderling». In einem Selbstporträt in Öl, das wie alle Gemäldenicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, schaut den Betrachter einaufgedunsener Mann mit müdem Blick entgegen. Den Ruhm, den ihm «Maxund Moritz» & Co. schon zu Lebzeiten einbrachte, konnte eranscheinend nicht genießen. Busch plagten Zeit seines LebensSelbstzweifel. Vielleicht liegt darin sein präziser Blick fürmenschliche Schwächen mitbegründet.
Als einen «selbstquälerischen, grundgescheiten, mitleidendenSadisten» hat der Historiker Golo Mann den Künstler bezeichnet. Seinevermutlich einzige große Liebe zur Bankiersfrau Johanna Keßler bliebunerfüllt. Als Maler sah er sich gescheitert. «Er verhinderte, dassauch nur ein einziges Bild von ihm ausgestellt wurde», sagt Neyer.Gleichzeitig konnte Busch vom Malen nicht lassen. Die Motive fand erin seiner Heimat, wohin er sich mit 51 Jahren zurückzog. In den1890er Jahren wurden die Bilder kleiner, die Farben verschwammen.Busch nahm Vorstufen der Abstraktion und Elemente des Expressionismusvorweg, die erst im kommenden Jahrhundert die Kunst revolutionierensollten.
In Erinnerung indes bleibt Busch nicht als avantgardistischerKünstler, sondern als Erfinder der frechen Lausbuben «Max undMoritz». Seine Aphorismen gingen wie Luther- oder Goethe-Zitate indie deutsche Sprache ein. Die Gültigkeit des Verses «Vater werden istnicht schwer, Vater sein dagegen sehr» konnte der Junggeselle, der 40bis 60 Zigaretten am Tag rauchte und Gewohnheitstrinker war, nieselber überprüfen. Eine Weisheit aus der «Frommen Helene» dagegenschon: «Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auchLikör.»