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Pikantes Pikantes: Kein Kinderkram

Von ANtonie Städter 23.12.2012, 14:35

Halle (Saale)/MZ. - Nein, Rapunzel war kein braves Mädchen. Traf sich unverhohlen mit einem Jüngling zu heißen Liebesnächten in ihrem Turm, und war dann auch noch freimütig genug, der bösen Fee von den Folgen der nächtlichen Eskapaden zu erzählen: "...meine Kleiderchen werden mir so eng und wollen nicht mehr passen". Später, das ist bekannt, bekommt die Schöne mit dem langen Zopf Zwillinge. Derlei sexuelle Anspielungen, wie sie in der Erstausgabe der Grimm'schen Märchen von 1812 noch veröffentlicht worden waren (siehe Text rechts), gingen manchem Zeitgenossen dann aber doch entschieden zu weit. Das war doch nichts für Kinder! Nein, ursprünglich tatsächlich nicht, denn so war es auch gar nicht gedacht. Darin sind sich die Literaturwissenschaftler heute einig: Märchen wurden einst zur Unterhaltung für Erwachsene verfasst. Erst die emsigen Märchensammler Jacob und Wilhelm Grimm kamen auf die Idee, sie für Kinder umzuschreiben.

Grimms streichen die Erotik

Also musste eine Entschärfung her. Besonders Wilhelm soll es gewesen sein, der vermeintlich schlüpfrige Details für spätere Ausgaben mit mehreren Textänderungen entfernte: Bei "Rapunzel" strich er etwa die Passage mit dem Verweis auf ihre Schäferstündchen. Stattdessen unterhalten sich die Liebenden im Märchen nun nur noch und halten Händchen. Kinder bekommen sie zwar trotzdem. Aber das war dann schon in Ordnung so: Hatte Wilhelm Grimm doch wohlweislich eine Verlobungsszene eingefügt.

Rotkäppchen legt sich zum Wolf

Auch "Rotkäppchen" war einst längst nicht so jugendfrei, wie es sich heute liest. In seiner ersten Version von dem französischen Autor Charles Perrault fordert der böse Wolf im Nachtgewand der Großmutter das Mädchen noch auf, sich doch zu ihm ins Bett zu legen. Naiv, wie Rotkäppchen damals, 1697, schon dargestellt wurde, tut es das natürlich - und zieht sich dafür auch aus. Literaturexperten lesen das Märchen heute als Warnung vor einer Vergewaltigung, zumal der Franzose es mit einer eindeutigen Moral versieht. Die lässt kaum Zweifel daran, dass der Wolf hier als Synonym gebraucht wird für einen Schürzenjäger, der es auf junge Frauen abgesehen hat. Die Brüder Grimm orientierten sich zwar an Perraults Fassung, Pikanterien aber schafften es nicht in ihre Veröffentlichung: In ihrem "Rotkäppchen" tritt das Mädchen nur an das Bett - und wird nach dem obligatorischen Dialog mit dem Wolf ("Aber Großmutter...") sogleich gefressen. Was beweist, dass Grimms Märchen in anderer Hinsicht mitunter starker Tobak waren - oder heute noch sind.

Zwar hatten die Brüder nicht nur sexuelle Anspielungen, sondern auch allzu brutale Szenen gestrichen. Doch manches Detail in ihren Märchen kommt noch immer ziemlich abgründig und grausam daher: Wenn etwa die böse Stiefmutter in dem Märchen "Von dem Machandelboom" den ihr verhassten Stiefsohn tötet, ihn in einer Suppe kocht und dann auch noch dem Vater, der nichts ahnt, davon zu essen gibt. Oder man denke nur an die vielen anderen grausamen Tode, die in den Geschichten gestorben werden - auch, wenn das meist die "Bösen" betrifft.

Vorlage für Hollywood

Die düsteren - und auch die etwas lüsternen - Seiten der Grimm'schen Märchen hat auch Hollywood längst für sich entdeckt. Und Adaptionen gedreht, die wiederum nicht gerade für Kinder gedacht sind: 2011 etwa bändelte "Rotkäppchen" Amanda Seyfried im Horror-Streifen "Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond" mit einem Werwolf an. Kristen Stewart gab in dem düsteren Fantasy-Film "Snow White and the Huntsman" dieses Jahr das zarte Schneewittchen. Und weil Märchen und Fantasy gerade so angesagt sind, kommt bald auch noch eine moderne Hollywood-Version von "Hänsel und Gretel" in die Kinos. Finstere Szenen inklusive.