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Philosophie Philosophie: «Zitateraten» mit Schopenhauer

11.08.2009, 06:41
Der Schopenhauer-Experte Matthias Koßler (FOTO: DPA)
Der Schopenhauer-Experte Matthias Koßler (FOTO: DPA) dpa

Mainz/dpa. - Denn die zur Mainzer Uni gehörende Einrichtungbildet zusammen mit dem Schopenhauer-Archiv in Frankfurt am Main einZentrum der internationalen Forschung. Die Experten um den MainzerProfessor Matthias Koßler helfen bei allen Fragen rund um den Denker,unter anderem beim «Zitateraten». Denn: Viele der Zitate, dieSchopenhauer (1788-1860) zugeschrieben werden, stammen gar nicht vonihm.

«Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist allesnichts», sagt der Volksmund. Und nicht selten wird hinzugefügt: «Dashat schon Schopenhauer gewusst.» Dabei geht diese Volksweisheit garnicht auf den Philosophen zurück.

«Wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass vermeintlicheSchopenhauer-Zitate sich als falsch erweisen. Viele trauen ihm wohltreffend und geistvoll formulierte Weisheiten besonders zu», sagtKoßler. Donnerstags von 10.00 bis 12.00 Uhr sitzt eine Mitarbeiterindes Professors am Telefon und am Computer und beantwortet Anrufe undE-Mails von Menschen, die sich für Schopenhauer interessieren. Dabeisind Schopenhauer-Zitate ebenfalls ein beliebtes Thema. DieFehlerquote sei recht hoch, sagt Koßler. So habe sich der Denker zwarzeitlebens einen Pudel gehalten. Die Redensart «Das ist des PudelsKern» stamme jedoch aus Goethes «Faust» und nicht - wie manchemeinten - aus Schopenhauers Feder.

Im Kern beschäftigt sich die Forschungsstelle natürlich nicht inerster Linie mit Zitaten. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin,Anlaufstelle für Wissenschaftler zu sein. «Es gibt in Deutschlandkeine andere Uni, die einen Schopenhauer-Schwerpunkt hat», sagtKoßler. Auch international ist die Forschungsstelle gefragt:Wissenschaftler aus Italien, Spanien, Brasilien, Australien, Japan,Portugal und Indien sind laut Koßler in diesem Jahr schon angereist.Für sie sei die Mainzer Institution vor allem eine Kontaktbörse. Soveranstalte Mainz jedes Jahr ein Treffen, bei dem sich deutsche undinternationale Doktoranden über ihre Forschungsprojekte austauschenkönnen.

Koßlers Institut arbeitet mit dem Schopenhauer-Archiv in Frankfurtam Main zusammen. In der Stadt, in der der Philosoph viele Jahrelebte, werden Briefe, Tagebücher, aber auch persönlicheGebrauchsgegenstände von ihm aufbewahrt. «Zusammen ergeben Mainz undFrankfurt ein Zentrum der Schopenhauer-Forschung», sagt Koßler. Zum150. Todestag des Philosophen 2010 wollen beide Einrichtungenzusammen mit dem Frankfurter Institut für Stadtgeschichte einegrößere Ausstellung ausrichten.

Daneben habe die Mainzer Forschungsstelle an der Internetseite«schopenhauersource.org» mitgearbeitet. Die Seite zeigt digitaleAufnahmen der Schopenhauerschen Handschriften. Außerdem arbeitet dasTeam um Koßler an einer neuen Schopenhauer-Gesamtausgabe, die alleTextvarianten verzeichnet. Denn um die Werke des Philosophen gab undgibt es Streit. Schon bald nach der ersten Gesamtausgabe, die 1862publiziert wurde, hätten sich die Gelehrten gestritten, welcheFassung der Schopenhauerschen Werke die echte und wahre sei, sagtKoßler. Schopenhauer habe sein Werk mehrfach überarbeitet undumgeschrieben. Das gelte auch für sein Hauptwerk «Die Welt als Willeund Vorstellung». «Durch die geplante Neuausgabe kann der Leser denText der ersten Auflage mit allen verschiedenen Varianten einsehen».

Zum Team der Mainzer Forschungsstelle gehören neben Koßler einDoktorand und eine wissenschaftliche Hilfskraft. Sie haben alle Händevoll zu tun, denn der Denker ist als «Gewinner» der Finanzkrise undplötzlich wieder «in». «Schopenhauer hat die Welt ohne Illusionenangesehen», sagt Koßler. Damit habe er sich gegen denFortschrittsoptimismus seiner Zeit gewandt. «In Krisenzeiten sindviele Menschen wieder empfänglicher für weniger optimistischePhilosophen», sagt Koßler. «Die Welt ist schlecht», das seiSchopenhauers Credo gewesen.

Schopenhauer sei sich sicher gewesen, dass der Mensch nicht vonder Vernunft gesteuert werde, sondern von anderen, irrationalenAntrieben. Für den Philosophen sei dies eine leidvolle Erkenntnisgewesen. Das Leiden, so der Denker, könne unter anderem mit Askeseüberwunden werden. Allerdings habe er selbst nicht unbedingtasketisch gelebt, sagt Koßler. Insbesondere für kulinarische Genüssesei er empfänglich gewesen. Deshalb werde ihm oft der Ausspruchzugewiesen: «Der Wegweiser muss nicht den Weg gehen, den er weist».Auch dieses Zitat hat Koßler schon überprüft. Es ist - wie so oft -kein «echter» Schopenhauer.