Peter Richter Peter Richter: Zonen-Gabi bekommt endlich ein Denkmal
Halle/MZ. - Wir hatten sie bereits fast vergessen: Gabi, 17, die sich auf dem Original-Poster neudeutsch "Gaby" schreibt. Eine tapfere Neunundachtzigerin, die sich Wende-froh dem Fotografen stellt, der es nicht fassen kann, dass dieses brave Naturkind eine Gurke für eine Banane hält. Gabi spürt den Spott nicht; sie merkt nicht, was ihr hier widerfahren soll. Auch deshalb hat ihr Foto nichts mit "Ostalgie", sondern viel mit historischer Wahrheit zu tun.
Dass der Berliner Journalist Peter Richter in seinem Deutschland-Buch "Blühende Landschaften" Gabi sein Herz schenkt und ihr somit die Würde zurückgibt, die sie nicht erst 1989 verloren hat, ist eine von vielen guten Taten in diesem klugen, guten, begeisternden Buch.
"Danksagung" heißt das Kapitel, in dem Peter Richter Zonen-Gabi ein Denkmal setzt, das man sich in allen deutschen Lesebüchern wünschen würde. Warum? Richter weiß, dass - sehr im Gegensatz zu ihm - "der Westen" für Gabi wohl nicht das Glück geworden ist. Und dass Spott darüber nicht angebracht ist, denn: "Leute wie Zonengabi waren damals die Ersten und sind für viele jetzt das Letzte". Für Richter war Gabi immer vorneweg: auf den Einheits-Demos, auf dem Billig-Markt, schließlich auf dem Arbeitsamt. Sie brachte genau den Einsatz, dem die Wende-Gewinnler aus Ost und West alles verdanken. Und Gabi? Steht am Rand. "Wenn sie ihre Söhne besucht, sagt sie scherzhaft: ,Ich geh mal nach den Rechten schauen'." Man sollte, schreibt Richter, "auch überlegen, ob man den Bürgerrechtlern nicht endlich ihre politischen Verdienste aberkennt und sie Gabi zuspricht, denn sie hat ja sonst nichts".
So ein Satz ist nicht nur gut pointiert, er ist vor allem richtig und wichtig. Peter Richter - 1973 in Dresden geboren, Studium der Kunstwissenschaft in Hamburg, heute Autor der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin - ist ein Reporter, der zur Bestform aufläuft, wo er die Stereotypen der ost-west-deutschen Weltwahrnehmung vorführen kann. Längst ist ja die DDR im Mythennebel versunken, "der Osten" als homogene psychosoziale Masse eine gängige Halluzination und was da '89 geschah, kaum mehr als ein Schulterzucken wert. Also streift Peter Richter in 18 Kapiteln von Hamburg her nach Dresden durch das Land, das sich selbst ein Rätsel ist. Er beschreibt Wohnwelten, Stilfragen und Bettgeschichten, um den Deutschen den kultursoziologischen Spiegel vorzuhalten. Ihrer moralischen Anmaßung und Selbstgerechtigkeit, ihrer Freiheit auch, die vor allem eine Freiheit von Kenntnissen über die Lage des lieben Nachbarn ist - was aber nie davor schützt, dass der Kenntnisfreie den Nachbarn rund um die Uhr belehrt. "Meine Lektion als DDR-Bürger war also, dass Identität in erster Linie eine Anschuldigung ist", schreibt Richter - auch so ein guter Satz.
Vor allem aber: Richters Heimatkunde ist nicht nur ein rundum überraschendes und wahres, es ist vor allem ein abgründig komisches Buch. Der "Böhse Onkelz"-Fan ("Auch ich habe schon intelligentere Musik gehört. Aber nicht immer genauso gerne.") kümmert sich um keinen Mainstream, und er bietet ihn auch nicht. "Der Osten" ist eine Illusion, der selbstgewisse Westen längst der letzte Rückzugsort des Zonentums. Richter, der die Welt kennt, sagt: "Ich spreche jetzt auch wieder häufiger Sächsisch".
Peter Richter: "Blühende Landschaften. Eine Heimatkunde", Goldmann, 220 S., 17,90 Euro