Diestel blickt zurück im Zorn Peter-Michael Diestel plaudert aus dem Nähkörbchen: Letzter DDR-Innenminister blickt zurück im Zorn

Halle (Saale) - Er war damals der, der nicht reinpasste, der hervorstach, der anders ging, anders sprach und sich anders gab. Als Peter-Michael Diestel Ende 1989 immer öfter im Fernsehen auftauchte, wirkte der muskulöse Mann mit den blassblauen Augen immer ein wenig wie auf Besuch.
Diestel war kein Pfarrer wie andere unter den neuen Regierenden, er war kein westdeutscher Helfer und kein gewendeter Blockparteifunktionär. Trotzdem fungierte der auf Rügen geborene Jurist, der Rinderzüchter gelernt hatte, nach Jahren als Anwalt in Delitzsch in Leipzig sesshaft geworden war und dort die konservative Kleinpartei DSU mitgegründet hatte, als Innenminister der abwicklungsreifen DDR.
Buch von Peter-Michael Diestel: „Im Osten war ich glücklich. Trotzdem kämpfe ich für die Einheit“
Ein Amt, das mit dem Offizierssohn und Kraftsportler Diestel einen gefunden hatte, der es mit der ganzen Wucht seiner Person ausfüllte. Und ohne jeden Opportunismus, wie Diestel in seinen Erinnerungen an die wilden Tage darlegt, die gerade unter dem Titel „Im Osten war ich glücklich. Trotzdem kämpfe ich für die Einheit“ erschienen sind.
Es ist eine schonungslose Abrechnung geworden, bei der Diestel Gefangene in allen politischen Lagern macht. Wegbegleitern wie dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziére, Ex-PDS-Chef Gregor Gysi und Einheitskanzler Helmut Kohl erweist er ebenso Respekt wie dem MfS-Offizier Bernd Fischer, den er nach der gemeinsamen Zeit im DDR-Innenministerium viele Jahre lang als Leiter seiner Kanzlei beschäftigt hatte.
Anderen aber, die in den Monaten vor dem Vollzug der Einheit Strippen zogen, schlägt auch nach 30 Jahren noch unverkennbar die Verachtung des inzwischen 67-Jährigen entgegen, der seinen Ruf als Querdenker und Querlenker mit Leidenschaft und Einsatz pflegt.
Für Peter-Michael Diestel war Einheit ein „abgekartetes Spiel“
Peter-Michael Diestel, der nach seinem Ausflug in die Politik zu seiner Anwaltstätigkeit zurückkehrte und heute im mecklenburgischen Flecken Zislow am Plauer See lebt, sieht in der Art, wie die Einheit herbeigeführt wurde, ein „abgekartetes Spiel“. Nicht gleichberechtigte Partner hätten damals verhandelt, sondern Amateure und Profis. Wobei letztere alle Mittel eingesetzt hätten. So habe sein damaliger Ministerkollege Günther Krause, der die Beitrittsverhandlungen für die DDR-Seite führte, das auf eine Art getan, die im Westen den Glaube begründete, „er habe sich mit sich selbst vereinigt“. Wo doch hinter den Kulissen fleißig getrickst wurde. Er selbst habe im Juli 1990 Besuch von „Abgesandten aus Bonn“ erhalten, die ihn auf eine Stasi-Akte von DDR-Chef de Maiziére hinwiesen. „Sie wollten ihn loswerden, er hatte seine Schuldigkeit getan.“
Peter-Michael Diestel ist offenkundig nicht zufrieden mit etlichen Details der Vereinigung. Schon der Umstand, dass nicht die Staatsoberhäupter oder die Regierungschefs Kohl und de Maiziére den Einigungsvertrag unterschrieben, sondern nur die Minister Krause und Schäuble, zeige, wie man den Vorgang in Bonn bewertete: „Eine lästige Pflicht fürs Publikum“, ätzt Diestel, der „konkrete Vorgänge um die deutsche Einheit geradezu als widerlich empfunden“ sah.
Peter-Michael Diestel zieht für sich selbst positive Bilanz
„Unser aller Mission war aus Bonner Sicht erfüllt, als die DDR beerdigt war“, sagt er in der Rückschau. Dabei seien früh zentrale Versprechen gebrochen worden. „Wir im Osten hatten unsere Feindbilder aufgegeben, um die deutsche Einheit zu gewinnen, aber der Westen pflegte seine tradierten antikommunistischen Feindbilder.“ Peter-Michael Diestel sieht darin eine „wissentliche Täuschung“, die „jeder Zonendödel“ schnell begriffen habe. „An dieser Desillusionierung und Ernüchterung“, glaubt er, „krankt die deutsche Einheit bis heute.“
Ein Blick zurück im Zorn, auch wenn der noch immer hart trainierende Hobby-Kraftsportler für sich selbst positive Bilanz zieht. Er sei frei, wirtschaftlich unabhängig und niemandem verpflichtet, so dass er ohne Maulkorb reden könne.
Etwa am Freitag im MDR, als Diestel sein Buch im „Riverboat“ vorstellte und zürnte, 15 Millionen Ostdeutscher fänden sich in der Bundesrepublik nicht wieder - und wählten deshalb AfD. Zuschauer bemerkten anschließend, dass Diestels Auftritt in der MDR-Mediathek fehlte und witterten Zensur. Ein Versehen, machte Moderator Jörg Kachelmann bei Twitter Front gegen Verschwörungstheorien. Der zuständige Mitarbeiter sei neu und habe einen Fehler gemacht. Jetzt stehe der Beitrag aber im Netz. Nur angeschaut werden konnte er trotzdem nicht, nun wegen einer „technischen Panne“, an der „mit Hochdruck gearbeitet“ werde, wie es beim MDR hieß.
Peter-Michael Diestel: Im Osten war ich glücklich. Das Neue Berlin, 304 Seiten, 22 Euro (mz)