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Panorama Museum Bad Frankenhausen Panorama Museum Bad Frankenhausen: Weltbild voller Rätsel

Von Andreas Hillger 15.08.2003, 12:52
Werner Tübke vor seinem Monumentalgemälde «Frühbürgerliche Revolution in Deutschland» in der Bauernkriegs-Gedenkstätte auf dem Schlachtenberg bei Bad Frankenhausen. (Foto: dpa)
Werner Tübke vor seinem Monumentalgemälde «Frühbürgerliche Revolution in Deutschland» in der Bauernkriegs-Gedenkstätte auf dem Schlachtenberg bei Bad Frankenhausen. (Foto: dpa) dpa/dpaweb

Bad Frankenhausen/MZ. - Der 16. Oktober 1987 war ein besonderer Tag im Leben des Werner Tübke: Elf Jahre nach der Bestätigung seines Konzeptes durch den Auftraggeber signierte der Maler in Bad Frankenhausen sein im buchstäblichen wie übertragenen Sinne größtes Werk und legte - wie sein letzter verbliebener Helfer Eberhard Lenk - den Pinsel aus der Hand.

Möglicherweise glitt an diesem Tag sein Blick noch einmal in jene Region unter der Decke des Bauernkriegs-Panoramas, wo er am 16. August 1983 mit dem ersten Pinselstrich in der Szene des jüngsten Gerichts die Endfassung des Bildes in Angriff genommen hatte.

Das 1722 Quadratmeter Leinwand bedeckende Gemälde, dessen öffentliche Übergabe am 14. September 1989 einen der letzten Auftritte der DDR-Politprominenz provozierte, ist nach 20 Jahren in bestem konservatorischen Zustand. Dafür sorgt laut Museums-Direktor Gerd Lindner vor allem jene perfekte Klimatechnik, mit deren Hilfe eher das Bild als der Besucher permanent von kühler Luft umspült wird. Bereits diese technische Konzentration belegt die Einzigartigkeit des Rundbaus auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen, wohin sich die ostdeutsche Nomenklatura ein identitäts- und traditionsstiftendes Sinnbild für den Bauernkrieg bestellt hatte - aber ein vieldeutiges Welttheater bekam.

Dass Tübkes Panorama-Gemälde auch in seinem metaphorischen Gehalt noch frisch ist, glaubt Lindner gewiss. Während die Fahnenmasten vor der riesigen Bild-Konserve fast demonstrativ dem Rost überlassen werden, konfrontiert er das dominante Zentrum im Inneren immer wieder mit Vergleichs-Angeboten, die sich vor allem durch altmeisterliche Maltechnik und surreale Verrätselung Tübkes Meisterwerk verwandt zeigen. Dass ausgerechnet die so sehr auf ihre realistische Tradition fixierte DDR ein Museum für manieristische Moderne hinterließ, gehört zu den kuriosen Pointen ihrer Geschichte. Dabei hätte man wissen müssen, wie Tübke einer solchen Bestellung begegnen würde. Skrupulös und pessimistisch hatte sich der Leipziger Professor bereits seit seiner Serie zu den "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze" mit Geschichte auseinandergesetzt, die Pose eines Malerfürsten der Renaissance stand in aristokratischem Widerspruch zu hemdsärmeligen Alltags-Ikonen.

Doch dass es ihm gelingen würde, der atheistisch gefärbten Republik ein gigantisches Sittengemälde voller biblischer Anspielungen und verschlüsselter Obrigkeits-Kritik unterzujubeln, war nicht selbstverständlich. Möglicherweise spielte sogar die Konkurrenz des Gedenkens eine Rolle: Während sich der Bezirk Halle mit seinem Bauernkriegs-Monument auch gegen das benachbarte Kyffhäuser-Denkmal als Zeichen einer kaisertreuen Gesinnung absetzen musste, durfte im benachbarten Mühlhausen der Leipziger Maler Heinz Zander seine Bauernkriegs-Sicht für den Bezirk Erfurt gestalten. Dass also auch in der Erbepflege das sportive Prinzip des "Schneller, höher, weiter" herrschte, zeigt sich in der Chronik des Tübke-Bildes: Zwei Tonnen Farbe hatte das sowjetische Kombinat für Künstlerbedarf in Podolsk zur Verfügung gestellt, die 14 Meter hohe und 123 Meter lange Leinwand wog 1,1 Tonnen und war im Textilkombinat Sursk gewebt worden. Nach der Grundierung übertrugen 15 Helfer die Vorzeichnung, die anfangs fünf Assistenten wurden vom schwierigen Meister ebenso verschlissen wie die eigene Gesundheit.

Was hat Tübke hinterlassen? Ein Panoptikum im Geist des 16. Jahrhunderts, das durch seine scheinbar bekannten Motive und Personen doch ein Rätsel bleibt. Eingewoben ist dem Weltbild der Zweifel an jenem Sinn der Geschichte, den sich die Auftraggeber hier stiften wollten. Und da seit der Einweihung bereits 1,6 Millionen Besucher in Bad Frankenhausen gezählt wurden, dürfte dieses Panorama wohl die erfolgreichste Denkmal-Gründung der DDR sein. Obwohl (oder weil) heute vor 20 Jahren ein Individualist auf das Gerüst trat.