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Pädagogik Pädagogik: «Struwwelpeter» zu autoritär?

Von Thomas Maier 20.04.2009, 15:53
Eine Originalausgabe des weltberühmten, historischen Kinderbuches «Der Struwwelpeter» aus dem Heinrich-Hoffmann-Museum in Frankfurt am Main (Archivfoto vom Februar 1998). (FOTO: DPA)
Eine Originalausgabe des weltberühmten, historischen Kinderbuches «Der Struwwelpeter» aus dem Heinrich-Hoffmann-Museum in Frankfurt am Main (Archivfoto vom Februar 1998). (FOTO: DPA) dpa

Frankfurt/Main/dpa. - Das traurige Schicksal des Daumenlutschersund des Suppenkaspers kennen heute Kinder in Deutschland genauso wiein China: Mit seinem «Struwwelpeter» ist der Frankfurter PsychiaterHeinrich Hoffmann zu einem weltweit bekannten Autor geworden. Dochzum 200. Geburtstag Hoffmanns, der am 13. Juni 1809 geboren wurde,streitet sich die Wissenschaft immer noch über den pädagogischen

Nutzen der «Lustigen Geschichten und drolligen Bilder für Kinder von3 bis 6 Jahren». Hoffmann hatte das Buch an Weihnachten 1844 fürseinen kleinen Sohn illustriert und verfasst.

«Der Struwwelpeter ist immer noch hochaktuell», sagt Prof. Hans-Heino Ewers. Das Buch behandle die «elementaren Themen der frühenKindheit». Es erlaube Kindern, ihre Fantasien auf Figuren wie denlanghaarigen und ungekämmten Kinderbuch-Helden zu projizieren. «DieGeschichten Hoffmanns haben angstbewältigenden und keinenangstmachenden Charakter», glaubt Ewers, Leiter des Instituts fürJugendbuchforschung an der Universität Frankfurt. Er ist sich sicher,dass Kinder beim Lesen eine Distanz zu den Figuren im Buchentwickelten.

Genau dies bestreitet die Psychoanalytikern Marianne Leuzinger-Bohleber. Sie hält das «Struwwelpeter»-Buch generell als ungeeignetfür Kinder. «Es ist ein sehr effizientes, aber sehr autoritäresErziehungsmittel», sagt die Frankfurter Psychoanalytikerin undDirektorin des Sigmund-Freud-Instituts. Kinder könnten solcheGeschichten nur dann lesen, wenn die Eltern sie dabei liebevollbegleiteten. Nur dann hätten sie keine Angst, dass ihnen der Vaterden Daumen abschneide oder sie ins Tintenfass werfe. In vielenFamilien fehle es aber an der «Empathie» für die Kinder.

Beide Wissenschaftler sind sich jedoch einig, dass HoffmannGeschichten erfunden hat, mit denen er auf völlig neuartige Weise dieFantasie von Kindern und auch Erwachsenen angesprochen hat. DerGelegenheitsautor war einer der ersten im 19. Jahrhundert, der mitseinen Bildgeschichten das «aktive Kind» als Leser entdeckte. DieFrankfurter Goethe-Universität will den «Hoffmann-Sommer» nutzen, umRolle und Wirkungsgeschichte des «Struwwelpeters» in möglichst vielenFacetten zu beleuchten. Dazu wurden zu Vorlesungen und Vorträgenrenommierte Wissenschaftler aus der ganzen Welt eingeladen, wie dieHochschule am Montag mitteilte.

Die Universitätsbibliothek, die neben zahlreichen BriefenHoffmanns eine umfangreiche Struwwelpeter-Sammlung besitzt, wird dieAusstellung «Parodien und Struwwelpetriaden» zeigen. Dabei geht esauch um Bücher, die das Struwwelpeter-Motiv im Zweiten Weltkrieg fürPropagandazwecke nutzten. Der «Struwwelhitler» ist dafür ein Beispielaus England. Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt geht mitdem Institut für Jugendbuchforschung der Frage nach, wie«Struwwelpeters Nachfahren» in der modernen Kinderbuch-Literaturaussehen.

Die Stadt Frankfurt will in der kommenden Woche ihr eigenesProgramm zum «Hoffmann-Jahr» vorstellen. Der Arzt, im 19. Jahrhundertviele Jahre lang Leiter der Frankfurter «Irrenanstalt», gilt heuteals großer Reformer des Psychiatriewesens. Dort wo 1859 unterHoffmanns Regie Frankfurts die neue Psychiatrische Anstalt gebautwurde, entstand nach deren Abriss später die Konzernzentrale der IGFarben. Heute sitzt dort die Goethe-Universität.