Oscars 2016 Oscars 2016: Kampfansagen gegen den Rassismus bei der 88. Oscar-Verleihung

Los Angeles/Berlin - Schließlich hat es doch noch geklappt mit dem Oscar für Leonardo DiCaprio. Nach sechs Nominierungen ohne Gewinn wurde dem Star in der Sonntagnacht bei den 88. Academy Awards im Dolby Theatre von Hollywood endlich die Trophäe als Bester Hauptdarsteller zugesprochen für seine Rolle als Überlebender in dem Drama "The Revenant". Zwölf Mal war dieser Film für den Oscar nominiert und markiert nun erneut einen Triumph für den mexikanischen Regisseur Alejandro González Iñárritu.
Der hatte 2015 mit seinem "Birdmann" den Oscar für den besten Film, besten Regisseur, das beste Originaldrehbuch und die beste Kamera geholt. Nun ist er wohl so etwas wie Hollywoods Über-Regisseur. Doch nicht allein Iñárritus Kino der Großartigkeit verstehen die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars vergibt, unter richtig großem Kino. Als Bester Film wurde in der Sonntagnacht nämlich "Spotlight" ausgezeichnet: Thomas McCarthys toller Journalisten-Thriller, der ein Plädoyer ist für die unbeirrbare Suche nach Wahrheit und Aufklärung, für fundierte Recherchearbeit und moralische Standards.
"Spotlight" erzählt, auf einer wahren Geschichte beruhend, von den Anstrengungen einiger Reporter des Boston Globe, Missbrauchsfälle durch katholische Priester in der Ostküstenmetropole aufzudecken. Die Danksagung der Filmproduzenten für den Oscar wurde dann zum Appell gegen die langjährige Vertuschungspolitik des Vatikans; ihr Film, so sagten sie, geben den Opfern eine Stimme.
Eine politische Oscar-Gala
Doch das Wort "Opfer" fiel dabei nicht - vielmehr war während dieser Gala immer wieder von "Survivors", Überlebenden, die Rede, derer man gedenke und für die man sich einsetze. So wie Lady Gaga und US-Vize-Präsident Joe Biden sich für die "Überlebenden sexueller Gewalt" einsetzten, Vergewaltigungsopfer wie einst Lady Gaga, selbst eigenem Bekunden auf dem roten Teppich zufolge. Ihre Interpretation von "Til It Happens to You" im Beisein solcher Überlebender beiderlei Geschlechts geriet zu einem machtvollen Auftritt.
War dies nun die politischste Oscar-Gala, an die man sich erinnern kann? Diese Frage kommt mit schöner Regelmäßigkeit auf nach den Academy Awards; fast geht darüber ein wenig der Gedanke an die Filmkunst verloren. Aber wer wollte das kritisieren, zumal in diesen Zeiten! Und so wurde die 88. Oscar-Verleihung nicht nur zum Podium für Überlebende sexueller Gewalt, es wurden auch die Schauspieler mit indianischen Wurzeln gewürdigt, die in "The Revenant" zahlreich auftreten, wobei Leonardo DiCaprio gleich noch die Gelegenheit ergriff, um an die Klimakatastrophe zu erinnern.
Das große, übergreifende Thema des Abends war indes der Rassismus gegen Afroamerikaner, wie er sich schon in den Oscar-Nominierungen niedergeschlagen hatte: Bereits das zweite Jahr in Folge waren keine schwarzen Schauspieler nominiert worden, und das obwohl es durchaus entsprechende Filme wie "Beast of No Nation" oder aber "Straight Outta Compton" gibt. Die Kontroversen darum griff der schwarze Comedian und Gala-Moderator Chris Rock nur zu gern auf, und zwar ebenso witzig wie bissig.
Warum gerade jetzt protestiert wird
Warum gerade jetzt protestiert wird? Früher, so Rock, "waren wir damit beschäftigt, vergewaltigt und gelyncht zu werden. Wenn deine Großmutter an einem Baum hängt, ist es dir egal, was der beste Dokumentarfilm ist". "Wir wollen Chancen", forderte er für seine Kollegen, um nach einer Werbepause kalauernd anzuschließen mit "We are b(l)ack?". Hochvergnüglich war auch ein Medley aus Szenen, in denen jeweils schwarze Schauspieler in reinweiße Hollywood-Filme hineingeschnitten wurden, so mimte Tracy Morgan (u.a. "30 Rock") etwa den gestrandeten Astronauten in "Der Marsianer", den nun natürlich niemand retten wollte (zu teuer), und reüssierte als "The Danish Girl"; Whoopie Goldberg wischmoppte in "Joy".
Das war also eine Oscar-Gala, bei der man die Hirnsynapsen der Macher immer wieder direkt klackern hörte, und bei allem politischen Engagement ging es doch auch mal albern und verspielt zu. So war der wütende Bär aus "The Reveant" in Gestalt eines Bärendarstellers anwesend und hatte einen Logenplatz inne, von dem aus er huldvoll in den Saal grüßte. Als Präsentatoren traten die Roboter aus "Stars Wars" ebenso auf wie drei verpeilte Minions; Kekse wurden von Girl Scouts verkauft - und eben diese begehrten goldenen Statuen.
Die meisten Oscars für "Mad Max"
Die meisten Oscars - insgesamt sechs - erhielt George Millers postapokalyptisches Spektakel "Mad Max Fury Road", davon aber keine Trophäe in den Königskategorien. Die Schwedin Alicia Vikander, eines der größten Talente, wurde als Beste Nebendarstellerin und Ehefrau in Tom Hoopers Transsexuellendrama "The Danish Girl" geehrt, der britisch-amerikanische Schauspieler Mark Rylance als Bester Nebendarsteller für seinen sowjetischen Spion in Steven Spielbergs "Bridge of Spies". 35 Zentimeter hoch, vier Kilogramm schwer und mit Gold überzogen ist auch jener Oscar, den die 26-jährige, selbst in den USA noch wenig bekannte Brie Larson als beste Schauspielerinmit nach Hause nehmen darf für ihre Rolle in "Room", einem Entführungs- und Missbrauchsdrama.
„Schwarze Leben zählen!“
Mit dem Satz "Schwarze Leben zählen!" beendete der Oscar-Host Chris Rock den Abend. Man darf indes sicher sein, dass die Rassismus-Kontroverse nach dieser Gala nicht erledigt ist - zu bitter und kämpferisch war der Beigeschmack, den selbst die Ansprache der sonst auf Ausgleich orientierten Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaac hatte: Sie zitierte Martin Luther King und ermahnte die Filmbranche, die Vielfalt der Wirklichkeit auch in ihren Entscheidungen, den ausgewählten Darstellern und Stoffen zu spiegeln. So lange die fast 6300 wahlberechtigten Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences zu 94 Prozent weiß und zu 77 Prozent männlich sind und Schwarze nur zu zwei Prozent vertreten, wird sich jedoch wenig ändern.
Unterschied zwischen Realität und Traumfabrik
Das muss es aber, findet sogar Boone Isaac, selbst Afroamerikanerin. Wie weit Realität und Traumfabrik auseinander gehen, zeigte eine - gewiss auch inszenierte - Umfrage, die Chris Rock vor einem Kino in Compton gemacht hatte, einem vornehmlich von Schwarzen bewohnten Stadtteil von Los Angeles: Kaum einer kannte hier die "weißen" Oscar-nominierten Filme, aber alle hatten "Straight Outta Compton" gesehen.