Oliver Stone Oliver Stone: «Ich habe im Krieg getötet»

Halle (Saale)/MZ. - Stone sitzt an einem großen Tisch im Berliner Adlon-Hotel. Er erzählt von seinen Recherchen zu dem Film und ist ganz schnell dabei, die US-Drogenpolitik zu kommentieren, also auch Obama. Und dann liefert er eine umfassende Bestandsaufnahme, über alle die Dinge, die in seinem Land nicht rundlaufen .
Stone hat oft gesagt, dass Amerika seine Seele verloren habe - im "Platoon" in Vietnam, während des Watergate-Skandals, im Raubtierkapitalismus der Wall Street oder in den Trümmern des World Trade Centers. Und wann immer er in seinen Filmen den Blick auf die Schattenseiten der Supermacht richtete, hat er polarisiert, mal die Konservativen, mal die Linken gegen sich aufgebracht. Ein Unberechenbarer. Zurzeit arbeitet er an einer TV-Serie über dunkle Kapitel in der US-amerikanischen Geschichte, die in Schulbüchern nicht vorkommen. Man darf gespannt sein.
Mit Oliver Stone sprachen
Martin Scholz und Anke Westphal.
Mr. Stone, Marihuana ist in den USA immer noch illegal. In Kalifornien dagegen gibt es Apotheken, in denen man sich "Gras" auf Rezept abholen kann. Wie passt das zusammen?
Stone: Ja, es gibt bei uns in Kalifornien in der Tat Gras-Apotheken und auch Marihuana-Anbau. Das ist eine völlig verzwickte, schwammige Situation. Denn es gibt eben auch Staatsgesetze, die Marihuana verbieten. Daran hat sich auch unter Obama nichts geändert, der aber eine Liberalisierung der US-Drogenpolitik versprochen hatte. Also gibt es einen juristischen Konflikt zwischen dem kalifornischen Recht und dem Bundesrecht.
Wie wird das im Alltag gelöst - so wie Sie das in Ihrem neuen Film "Savages" andeuten, wenn der von John Travolta gespielte Drogenbekämpfer sich von den Marihuana-Produzenten dafür bezahlen lässt, dass er ein Auge zudrückt?
Stone: Sagen wir so: Weil dieser Konflikt nie gültig entschieden worden ist, hängt es immer vom Ort, von der Zeit, dem County und dem zuständigen Sheriff ab, wie ein Marihuana-Fall be- und verhandelt wird. Das ist definitiv Mist, weil überall ja immer auch die Drug Enforcement Administration, DEA, zugange ist..
Die mächtige US-Bundesbehörde zur Drogenbekämpfung.
Stone: Ja, allein die DEA hat einen Jahresetat von 30 Milliarden Dollar. Insgesamt geben die USA pro Jahr um die 50 Milliarden Dollar aus, um in der Drogen-Szene böse Jungs zu jagen! Und da auf Bundesebene so ungeheuer viel Geld im Spiel ist, hat es die kalifornische Regierung nicht leicht, mit dem legalen Marihuana. Die DEA ist ja auch deswegen so aktiv, weil sie ihre eigene Existenz und genutzten Mittel rechtfertigen muss - genau wie das Pentagon oder die Homeland Security.
In Ihrem Film zeigen Sie zwei kalifornische Marihuana-Produzenten, die, ohne es darauf anzulegen, mit einem mexikanischen Drogen-Kartell in Konflikt geraten. Wie nah ist Ihre Dichtung an der Wahrheit?
Stone: Ich hab ich ein paar von diesen Gras-Unternehmern oder - Anbauern getroffen. Sie erinnerten mich sehr stark an all die Computer-Freaks im Silicon Valley, weil sie genauso individuell sind, vor allem aber sind sie sehr konkurrenzbewusst. Sie züchten das Gras auf Feldern, im Wasser, in Lagerhallen, Kellern und Wohnzimmern. Sogar in Schränken - da passen schon mal 50 Pflanzen rein. Jeder dieser Typen hat seine eigene Anbau-Methode. In Magazinen wie "High Times" werden diese Geschichten und Anbaumethoden erläutert und diskutiert - das sind inzwischen schon fast Hightech-Magazine! Das ist nun sehr amerikanisch. Und die kalifornische Marihuana-Industrie sehr effizient; sie produziert über hundert verschiedene Sorten. Die medizinische Wirkung von Marihuana ist ja erweisen, es hilft bei Schmerzen, gegen Schlaflosigkeit.
Sie haben nie verheimlicht, dass Sie seit den 60ern leidenschaftlich gekifft und auch zig andere Drogen haben, bis Sie vor zwei Jahren verkündeten, Sie hätten aufgehört Marihuana zu rauchen.
Stone: So ist es auch nicht. Mal mache ich es, mal nicht. Ich hole mir mein Gras heute aus der Apotheke, ich habe ein Rezept dafür; es wird mir ärztlicherseits verschrieben. Ich bin Patient in einem Therapieprogramm. Nicht dass Sie jetzt glauben, ich wäre selbst in diesem Geschäft!
Sie haben Obama erwähnt. Vor vier Jahren hatten Sie ihn noch leidenschaftlich unterstützt, inzwischen sparen auch Sie nicht mit Kritik an ihm.
Stone: Er hatte versprochen, bei der Legalisierung von Marihuana weiterzugehen. Das hat er nicht gemacht. Am meisten hat mich an ihm enttäuscht, dass er George W. Bushs Krieg gegen den Terror weitergeführt und verstärkt hat. Jetzt bekommt er dafür die Rechnung: Der Rest der Welt ist ungeheuer wütend auf die USA. Und das Konzept, dass Bürger eines Landes auf unbestimmte Zeiten ohne Prozess gefangen und festgehalten werden können, ist doch sehr beunruhigend für jeden Staat. Sie als Deutsche mit Ihrer Geschichte dürften das am besten verstehen.
Klingt sehr verbittert. Unterstützen Sie Barack Obama noch?
Stone: Er ist immer noch ein viel fortschrittlicherer Politiker als Mitt Romney! Mit Romney geht es zurück zur Welt von George Bush, das ist mal klar. Gerade was den Krieg gegen den Terror angeht.
Sie haben den Krieg der USA gegen die Drogen mal mit dem Krieg gegen den Terror verglichen, beides seien Kreuzzüge. Wohin haben diese Kreuzzüge Ihr Land geführt?
Stone: Die USA haben in der Tat schon einige Kreuzzüge geführt - ohne, dass sich dadurch irgendetwas verbessert hätte. Wer weiß, was wird, wenn Obama noch mal gewinnt. Es ist für einen Politiker heute nahezu unmöglich, aus einem Krieg - welchem auch immer - wieder herauszukommen. Man kann auch den Krieg gegen den Terror nicht beenden: Man kann nicht einfach den Etat dafür kürzen.
Warum nicht?
Stone: Weil, wenn es dann wieder irgendwo einen Anschlag gibt, spielen alle verrückt. Man kann auch den Drogenkrieg nicht einfach beenden. Plötzlich stirbt wieder jemand an einer Überdosis, und schon wird nach drastischeren Maßnahmen geschrien. Die USA haben lange Kriege geführt, in Afghanistan, im Irak. Wenn man erst mal Geld in einen dieser Kriege investiert, kommen sofort all die Blutsauger an, um möglichst lange davon zu profitieren. Sie haben ein Eigeninteresse daran, dass die Kriege möglichst lange dauern.
Ihr Vater war Broker. Er wollte, dass auch Sie diesen Beruf ausüben. Haben Sie je darüber nachgedacht, wo Sie in Zeiten der nicht enden wollenden Krise heute stünden, wenn Sie Broker geworden wäre?
Stone: Ich wäre vermutlich ein Hedgefonds-Manager und sehr reich. Es ist eine komplexe Angelegenheit, mit Geld noch mehr Geld zu verdienen. Mein Vater konnte das gut; dafür respektiere ich ihn sehr. Ich war zwar gut in der Schule, allerdings nicht in Mathe. Ich war nicht klug, nicht scharfsinnig genug, um Banker zu werden.
Mit der Finanzwelt haben Sie sich in Ihren beiden "Wall Street"-Filmen befasst. Der von Michael Douglas gespielte Börsenhai im ersten Teil aus dem Jahr 1987 lebte und handelte nach dem Credo "Gier ist gut". Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass Gier an der Börse immer noch gut ist?
Stone: Es gab zuletzt schon einige Versuche, die Finanzbranche zu regulieren. Obwohl dieses Business immer auch einen Weg findet, Regulierungen zu umgehen und noch ein paar Dollars zu verdienen, haben die Hedge-Fonders doch ein paar Schläge einstecken müssen in den vergangenen ein, zwei Jahren. Das Ganze hat nicht mehr dieselbe Profitabilität. Die Dinge könnten sich vielleicht doch ändern.
Die Occupy-Bewegung kam erst nach Erscheinen von "Wall Street 2" auf und ist inzwischen schon wieder im Schwinden begriffen. War diese Protestbewegung zu naiv?
Stone: Occupy war ein nobler Versuch, Aufmerksamkeit auf Prozesse im Finanzmarkt zu lenken, die das Leben von uns allen beeinflussen, von denen die meisten Leute aber ausgeschlossen sind. Wir haben in den USA nur noch Arme, ein paar sehr Reiche und nur noch sehr wenig Mittelklasse. Die Wut, die Occupy erst ermöglicht hat, wird nicht verschwinden. Die wird sich in anderen Formen ausdrücken.
Dass sich die Finanzindustrie mal derart destruktiv auf die Ökonomie auswirken könnte, hätte ich mir damals, als mein Vater wollte, dass ich Broker werde, nicht vorstellen können. Ich ging zu der Zeit auf die Yale Universität, und war in einer Klasse mit George W. Bush - und noch mit ein paar anderen von denen, die mal die großen Moneymaker werden sollten. Etwa Steven Schwartzman, der Boss von Blackstone. Der war einen Jahrgang unter mir. Das waren alles enorm kluge, sehr konkurrenzorientierte Jungs. Aber solche Leute sind eben nicht gut für das soziale Gefüge, das eine Gesellschaft zusammenhält.
Mitte der 60er flohen Sie aus der Elite-Universität Yale nach Vietnam, arbeiteten dort zunächst als Englisch-Lehrer. Was trieb Sie an, Ihr privilegiertes Umfeld in den USA aufzugeben?
Stone: Ich war damals 19. Vietnam war für mich eine Möglichkeit, den USA und der Enge in Yale zu entkommen und etwas über die reale, echte Welt zu erfahren. Ich bin da allein hin und fand einen Job beim Free Pacific Institute; ich brachte 16- und 17-jährigen Vietnamesen und Chinesen Englisch bei. Das machte ich fast ein Jahr. Ich habe damals viel gelernt.
Sie gingen danach kurz an die Yale-Universität zurück, waren dann aber von April 1967 bis November 1968 wieder in Vietnam - diesmal als Soldat an der Front. Was hat Sie da geritten?
Stone: Darüber habe ich ein Buch geschrieben, "A Child"s Night Dream", das dreißig Jahre später veröffentlicht wurde. Es erzählt von einem jungen, frustrierten Menschen, der glaubt, es gibt keinen Platz für ihn in der Welt.
Ich dachte nach meinem ersten Vietnamaufenthalt, ich versuche nach Yale zurückzugehen, aber das war nichts. Und so entschied ich, zurück nach Vietnam zu gehen. Ich wollte diesen Krieg ganz und gar mitbekommen - auf dem niedrigsten Level. Und das niedrigste Level ist die Infanterie. Politisch war ich damals nicht links; ich war republikanisch erzogen worden. Ich dachte, wir bekämpfen den Kommunismus. Das dachte ich wirklich. Diese 15 Monate in Vietnam haben mich viel dann darüber gelehrt, was Krieg wirklich bedeutet.
Haben Sie in Vietnam getötet?
Stone: Ja, ich habe im Krieg getötet. Aber selbst nach diesen extremen Erfahrungen in Vietnam habe ich mich nicht über Nacht in einen anderen Menschen verwandelt. Das dauert noch ein paar Jahre. Jetzt arbeite ich an einer zehnstündigen Dokumentation mit dem Titel "The Untold History of the U.S." für den Sender Showtime. Das Projekt umfasst den Zeitraum vom Zweiten Weltkrieg bis heute. Darin geht es um all das, was ich nicht in der Schule gelernt habe. Ich mache das, weil ich glaube, dass meine Kinder etwas Besseres verdient haben. Amerikanische Geschichte ist heute mythisch verklärt worden. Sie erfahren in Deutschland wahrscheinlich mehr Wahrheiten über die USA als wir Amerikaner.
Sie glauben, wir sind kritischer?
Stone: Ich kenne Ihre deutschen Bücher zwar nicht. Aber die jungen deutschen Studenten, mit denen ich sprach, wussten viel mehr über die USA als Amerikaner.
Um noch einmal auf den Vietnamkrieg zurückzukommen: Sie wurden hochdekoriert für Ihre Tapferkeit, mit dem Purple Heart und dem Bronze Star. Was bedeuten Ihnen diese militärischen Auszeichnungen heute?
Stone: Oh, lassen Sie uns nicht die ganze Zeit über Kriege reden.
Sie waren immerhin in einem und wissen, wovon Sie sprechen.
Stone: Da haben Sie nun auch wieder Recht. Von den neokonservativen Großpolitikern, die uns in den Krieg nach Afghanistan oder in den Irak schickten, Bush oder Cheney, war keiner je in einem Krieg gewesen. In Amerika nennen wir sie "chicken hawks", Hühner-Habichte.
Das Kuriose ist, dass Politiker, die im Krieg waren, wie etwa George McGovern, der 1972 Präsidentschaftskandidat der Demokraten war, als Schwächlinge gescholten wurden. Gut, George Bush senior war im Krieg. Dazu fällt mir nur ein: Gerade er hätte es besser wissen müssen.
Haben Sie Ihre Kriegsauszeichnungen aufgehoben?
Stone: Ja. Ich bin nicht der Typ, der so etwas wegwirft. Ich finde, sie sehen schön aus. Ich kann sie ab und zu all jenen Nörglern zeigen, die bezweifeln, dass ich meinem Land gedient habe.