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Niederlande und Flandern: Lust auf Geschichten

18.10.2016, 13:13
Eine Küstenlandschaft im Pavillon mit der Sonderschau von Flandern und den Niederlanden. Foto: Frank Rumpenhorst
Eine Küstenlandschaft im Pavillon mit der Sonderschau von Flandern und den Niederlanden. Foto: Frank Rumpenhorst dpa

Amsterdam/Brüssel - Fritten und Bier, sagen Flamen und Niederländer gern spöttisch auf die Frage, was sie verbindet. Nur fügen die Flamen dann hinzu, dass das in Belgien doch viel leckerer sei. Außer einer gesunden Portion Spott gegenüber dem Nachbarn und der großen Freude an Geselligkeit, teilen Flamen und Niederländer natürlich die Sprache. In diesem Jahr sind sie Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.

„Dies ist, was wir teilen”, ist der Slogan der Gäste. Und sie haben viel gemeinsam. Flamen und Niederländer sind neugierig auf Geschichten, sie sind lesefreudig, die Medien umarmen neue Autoren. Schriftsteller mischen auch in aktuellen Debatten kräftig mit.

Faktisch haben sie auch einen gemeinsamen Literaturmarkt mit Verlagen, Lesern, Preisen und der Buchwoche im März - ein Volksfest für Leser und Autoren. Und für beide ist Deutschland ein wichtiger Absatzmarkt. Denn der eigene Markt ist mit rund 20 Millionen niederländischsprachiger Leser relativ klein.

Bereits zum zweiten Mal nach 1993 präsentieren sich die Niederlande und Flandern in Frankfurt. Anders als damals ist die Literatur der „niedrigen Länder” mittlerweile fest auf dem deutschen Markt etabliert. Hugo Claus, Leon de Winter und Connie Palmen sind auch dort Bestsellerautoren.

Diesmal aber wollen die Organisatoren Lust auf neue Autoren und ihre Geschichten machen. Sie reisen mit einer Rekordzahl von mehr als 450 Neuerscheinungen nach Frankfurt, darunter auch viele von in Deutschland noch unbekannten Autoren.

Die junge flämische Lyrikerin Charlotte Van Den Broeck etwa wird neben dem niederländischen Bestsellerautor Arnon Grünberg Gastrednerin sein. Zu den Neulingen gehört auch Fikry El Azzouzi. Der marokkanisch-flämische Autor erzählt in seinem Roman „Wir da draußen” die Geschichte einer Jugendclique und ihrer Radikalisierung. Auch der Amsterdamer Marokkaner Mano Bouzamour beschreibt den Zusammenprall der Kulturen in seinem Roman „Samir, genannt Sam”.

Trotz der gemeinsamen Sprache haben Flamen und Niederländer keine gemeinsame Literatur. Die Abspaltung Belgiens von den Niederlanden 1830 führte auch zur Teilung der Literatur.

„Literatur ist sehr wichtig für unsere flämische Identität”, erläutert der Bestsellerautor Stefan Hertmans („Der Himmel meines Großvaters”). Die Emanzipation der Flamen gegen die frühere Dominanz der französischsprachigen Wallonen ist ein großes Thema der Autoren, und immer noch das Trauma des Ersten Weltkrieges. „Wir ringen mit unserer Geschichte, dem Schweigen über die Kollaboration mit den Deutschen”, sagt Hertmans.

Dagegen war die nationale Identität in der niederländischen Literatur seit Ende der 1960er Jahre kaum mehr Thema. Doch das änderte sich mit aktuellen Problemen: Die Spannungen in der multikulturellen Gesellschaft, Rechtspopulisten, ein radikaler Islam und nun die Flüchtlingskrise machen die Frage nach der eigenen Identität wieder hochaktuell.

„Menschen haben Angst, ihre Identität zu verlieren”, sagt der niederländische Bestsellerautor Tommy Wieringa. „Wir stellen uns nun mehr denn je die Frage: Wer sind wir? Was ist holländisch?” Die Suche nach Identität verknüpft Wieringa in seinem Roman „Dies sind die Namen” mit dem aktuellen Flüchtlingsthema. Schriftsteller, so sagt er, „können den Flüchtlingen Namen geben, Gesichter und eine Geschichte.”

Und das tut auch der Niederländer Ilja Leonard Pfeijffer in seinem Roman „Das schönste Mädchen von Genua”. Er verknüpft die Migration mit der ganz individuellen „Suche nach Glück”.

So verbindet die Frage der Identität nun auch die Literatur Flanderns und der Niederlande. Bart Moeyaert, der künstlerische Leiter des Gastlandauftrittes in Frankfurt, sagt es mit einem Bild. „Wir teilen die Nordseeküste”, so der preisgekrönte Kinder- und Jugendbuchautor. „Das Meer”, sagt er, „ist auch politisch, denken wir an die Flüchtlinge, und es ist nicht immer sanft und schön.” (dpa)