Neumeiers 150. Ballett-Werkstatt Neumeiers 150. Ballett-Werkstatt: Über das erzählen, was man liebt

Hamburg/dpa. - Der 59-Jährige liebt seine Arbeit, den Tanz. «Wenn man etwasliebt, dann zeigt man es gern und erzählt gern davon», meint derweltbekannte Künstler. Mit seinen Matineen hat sich der Choreografein Instrument geschaffen, um sich einen seiner größten Wünsche zuerfüllen: «Ich möchte den Menschen das Sehen beibringen.» Nicht umintellektuelle Wissensvermittlung geht es ihm, sondern darum, dieLeute zu begeistern für den Tanz, der «eine Kunst fürs Auge, für denganzen Menschen ist». Neumeier sagt: «Tanz ist instinktiv, direktund sinnlich. Es geht nicht darum, eine Choreografie mit demVerstand nachzuvollziehen, sondern darum, sich ergreifen undberühren zu lassen.»
Seit drei Jahrzehnten bietet sich vor Beginn der Werkstätten dasgleiche Bild. Schon einige Zeit vor elf Uhr sind die Tänzer undTänzerinnen auf offener Bühne zu Klaviermusik beim Exercise an derBallettstange zu beobachten. Angeleitet werden sie liebevoll-strengvon einst umschwärmten Solisten des Neumeier-Ensembles, die jetzt anseiner Ballettschule lehren: Marianne Kruuse gehört dazu und KevinHaigen. Mit einem Beifallssturm begrüßen dann die Zuschauer, vondenen viele seit Beginn der Werkstatt-Reihe dabei sind, «ihren» JohnNeumeier. Und der schafft es immer wieder, mit Charme, großem Wissenund viel Sinn für Humor, als Conferencier mit dem unnachahmlichenamerikanischen Akzent das Publikum mitzureißen.
Auf lockere, auch für den Laien verständliche Art vermittelt erWissenswertes über Tanztechnik und -geschichte, macht Choreografienin ihrem Werdegang begreiflich, präsentiert Nachwuchs-Solisten undjunge Eleven und lässt die Zuschauer teilhaben, wenn er sichRechenschaft ablegt über seine Motivation oder zum tiefsinnigenPhilosophen wird. In Zusammenarbeit mit amnesty internationalwidmete Neumeier eine Ballett-Werkstatt dem Thema «Getanzte Gewalt»,für die Aidshilfe-Organisation «Hamburg Leuchtfeuer» organisierte erBenefiz- Matineen. Andere Werkstätten galten dem großen FranzosenMarius Petipa (1818-1910) und dessen Einfluss auf die Choreografie,Ballett-Klassikern wie «Giselle» und deren Werkgeschichte oder auchder Tänzerlegende Waslaw Nijinsky.
Mitunter spannend wie ein Krimi sind die Werkstätten desChoreografen, der die weltweit größte private Sammlung zurGeschichte des Tanzes sein eigen nennt. Am fesselndsten aber sinddie tänzerischen Beispiele, die Neumeiers Worte auf einer ganzanderen Ebene verdeutlichen. «Die theoretischen Informationen sindnur nebenbei. Es geht darum, zu begreifen, dass im Tanz der Menschzugleich das Sujet und das Instrument ist - so als ob man selber einKlavier ist und ein Klavier hört. Wenn Menschen andere Menschentanzen sehen, dann müssen sie den Sprung, den sie sehen, in sichfühlen», meint Neumeier. Er ist überzeugt: «Die Werkstatt ist sopopulär, weil sie nicht mit der Distanz eines Wissenschaftlersgemacht ist, sondern von einem, der selber Ballett macht.»
So locker die Matineen auch wirken, «die Vorbereitung ist fürmich eine Tortur», sagt der Choreograf, der trotz allem ganz genauweiß: «Das Wesentliche lässt sich über Tanz nicht sagen, dasGeheimnis einer Bewegung ist nicht in Worten auszudrücken.»