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Neues Buch Neues Buch von Petra Ahne: Darum ist der Wolf seit Jahrhunderten Zielscheibe menschlichen Hasses

Von Kai Agthe 16.11.2016, 12:00
Auch in Sachsen-Anhalt wieder heimisch: Zwölf Rudel sollen sich laut Wolfsmonitor im Bundesland bislang angesiedelt haben.
Auch in Sachsen-Anhalt wieder heimisch: Zwölf Rudel sollen sich laut Wolfsmonitor im Bundesland bislang angesiedelt haben. DPA

Halle (Saale) - Es ist, da es um Wölfe geht, buchstäblich zum Heulen: So aufgeklärt sich die Menschen auch geben mögen, so schwer fällt es ihnen, sich von längst überwunden geglaubten Vorurteilen zu befreien. Der Wolf, genauer: der Eurasische Grauwolf, ist dafür ein beredtes Beispiel. Vor genau 20 Jahren gab es erste Sichtungen des scheuen Raubtieres in Deutschland, das sich inzwischen wieder in mehreren Bundesländern angesiedelt hat. Neben Sachsen und Brandenburg sind auch in Sachsen-Anhalt Wolfsrudel heimisch, zwölf an der Zahl. Seither wird die ebenso alte wie irrationale Angst vor „Isegrim“ wieder geschürt, für die der vielfach verfilmte Mythos vom Werwolf ebenso steht wie das Grimm-Märchen vom „Rotkäppchen“.

Intelligenz des Wolfes wurde als Verschlagenheit ausgelegt

Petra Ahne, Redakteurin der Berliner Zeitung, erzählt die Kulturgeschichte des Wolfes, die seitens des Menschen eine jahrhundertealte Geschichte des Hasses war, in einem Buch, das in der Reihe „Naturkunden“ des Verlags Matthes & Seitz erschien. Aus Abscheu wurde der Wolf so lange gejagt, bis er fast ausgerottet war. Er galt als das Böse schlechthin. Der Hass auf das edle Tier war so tief im kollektiven Bewusstsein verankert, dass es für rationale Erwägungen nicht zugänglich war, so Ahne. Der Wolf ist ein kluges Tier, dessen Intelligenz der Mensch freilich als Verschlagenheit und Bösartigkeit auslegte.

Das Tier ist kein kaltblütiger Killer

Bis heute meldet sich die unbegründete Furcht vor dem Wolf reflexartig, wenn das Thema berührt wird. Ahnes Buch ist ein Versuch, das Bild, das die Mehrheit vom Wolf hat, vom Kopf auf die Füße zu stellen. „Es gibt die Natur da draußen, und es gibt die Natur in unseren Köpfen, und was wir mit ihr machen, sagt mehr über uns aus als über sie“, gibt die Autorin mit einigem Recht zu bedenken. Ein oft bemühter Vorwurf: Der Wolf sei angeblich ein kaltblütiger Killer, der lieber Nutzvieh wie Schafe erlegt, als Tiere des Waldes zu jagen. Falsch.

Mehrere Tausend Proben von Wolfslosung, also dem Kot der Tiere, die in den vergangenen Jahren am Senckenberg-Forschungsinstitut in Görlitz untersucht wurden, haben gezeigt, so Petra Ahne, „dass 96 Prozent der Wolfsnahrung aus wilden Huftieren, also Rehen, Hirschen und Wildschweinen besteht“. Und nur 0,6 Prozent aus Schafen und anderen Nutztieren. Dass die öffentliche Wahrnehmung anderes vermuten lässt, liegt vor allem daran, dass meist nur über Wölfe berichtet wird, wenn diese Nutzvieh gerissen haben.

Damit verbunden ist ein zweites Vorurteil: Wölfe töten, wenn sie in Herden einfallen, „im Blutrausch“ mehr Tiere als sie als Nahrung benötigen. Auch das stimmt so nicht: Wölfe sind effiziente Jäger, die, wenn sie Gelegenheit haben, mehrfach zuschlagen. Käme ihnen nicht der Mensch zuvor, würden sie so lange von gerissenen Tieren zehren, bis die in Gänze vertilgt sind.

Wolfsattacken auf Menschen gab es in den vergangenen Jahrzehnten nicht

Dass der Mensch in Europa maßlos Wälder rodete und damit den Lebensraum des Wolfs immer weiter eingrenzte, dieser deshalb auch Beute im Nutztierbestand machen musste, wurde als Beweis seiner Tücke gesehen und führte zu noch intensiverer Verfolgung.

Wolfsattacken auf Menschen, ein weiteres unheilvolles Vorurteil, hat es in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nicht gegeben. Wo von derartigen Fällen aus Europa berichtet wird, handelte es sich, so ein Nachweis erbracht wurde, meist um tollwütige Tiere. Möglich, dass an der Tollwut erkrankte Wölfe unsere Altvorderen glauben machten, diese Tiere seien vom Teufel besessen oder Menschen in Wolfsgestalt, die mit dem Teufel im Bunde standen. Das Wort Werwolf leitet sich daher: „Wer“ steht im Althochdeutschen für Mann: Werwolf bedeutet also Wolfsmann.

Dass die Verhaltensforschung im Allgemeinen und die zum Wolf im Speziellen eine junge Wissenschaft und vor Fehleinschätzungen nicht geschützt ist, belegt, wie Ahne zeigt, etwa Rudolf Schenkel. Der Schweizer führte 1947 den Begriff des „Alpha-Männchens“ in die Biologie ein, das er bei Wölfen erkannt haben wollte. Da seine Studien jedoch auf Beobachtungen von in Gefangenschaft lebenden Tieren fußten, deren Sozialverhalten ein anderes ist, irrte Schenkel: Es gibt, wie man heute weiß, in freier Wildbahn keine Alpha-Wölfe. Das Rudel wird von einem Elternpaar geführt, zu dem Jungtiere verschiedener Jahrgänge gehören. Die Rangordnung ist damit vorgegeben.

Der Wolf braucht nicht viel

Der Mensch sollte sein Verhältnis zum Wolf – darin stimmt Petra Ahne mit anderen Autoren von Wolfsbüchern überein – entkrampfen. Denn die Verhaltensforschung hat auch entdeckt, dass der Wolf in seinem Gruppenverhalten uns Menschen deutlich näher steht als der Menschenaffe. Um in einem dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik sein Auskommen zu haben, braucht der Wolf übrigens nicht viel: Nur Ruhe im Revier.

Was aber ist zu tun, wenn man im Wald auf einen Wolf treffen sollte? Ruhig bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist freilich mehr als gering, da Wölfe aus einem Abstand von bis zu einem Kilometer Menschen wittern können und Begegnungen mit diesen eher meiden als suchen.

Neben all diesen Fakten über den edlen Räuber bietet das Buch auch schöne Illustrationen und eine Galerie zu allen elf Wolfsarten. (mz)

Petra Ahne: Wölfe. Verlag Matthes & Seitz, 143 Seiten, 18 Euro

Mehr zum Thema im Internet:www.wolfsmonitor.de