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Nena in Ferropolis Nena in Ferropolis: Auf der Achterbahn

Von Andreas Hillger 31.08.2003, 13:50

Ferropolis/MZ. - Dass sie jede ausgewachsene Apokalypse überleben würde, wusste Nena schon vor zwei Jahrzehnten, kleinere Katastrophen aber treiben auch sie noch immer in die Verzweiflung. Als mitten im Konzert unter den Baggern von Ferropolis am Freitagabend ihr Sender am Gürtel versagt, sind für kurze Zeit alle Durchhalte-Parolen vergessen, während die Frontfrau ihre Technik samt der Techniker verflucht. Und danach sucht sie noch für eine relativ lange Weile nach dem roten Faden, den sie bis dahin kraftvoll in ihren Händen hielt - und den sie offenbar erst unter einem ihrer 99 Luftballons wiederfindet.

"Nena feat. Nena" hieß vor einem Jahr das Jubiläums-Album. 20 Jahre nach ihrem Debüt mit "Nur geträumt" hatte die standhafteste Surferin der Neuen Deutschen Welle so viele Kollegen wie nie um sich versammelt - und sah trotz prominenter Duett-Partner wie Kim Wilde und Joachim Witt vor allem den eigenen Mythos als Provokation. Für die aktuelle Tournee nahm sie neben Right Said Fred junge Musiker wie Cle oder Yvonne Catterfeld unter ihre Fittiche - und macht sich, wenn überhaupt, wieder nur selbst Konkurrenz.

Das liegt - wie sie irgendwie, irgendwo, irgendwann an diesem sonderbaren Abend selbst sagt - vor allem daran, dass sie viel lieber neue Lieder singen würde. Dies freilich wäre in Pop-Paraden, die dreieinhalb Minuten Unverwechselbarkeit in der Endlosschleife für das Maß aller Dinge halten, kommerzieller Selbstmord.

In Ferropolis mischt sie dafür den Soft-Sound der Neuen Frankfurter Philharmonie mit der Wucht einer Band, die ihre Gitarren an extra langen Gurten in Kniehöhe trägt. Diese Mischung aus weißem Zwirn und schwarzem Leder, die der Dirigent und die Sängerin exemplarisch vorführen, beherrscht auch die grandiose Bühnenshow.

Den dreistöckigen Setzkasten der Sinfoniker unterbrechen Video-Wände, auf denen ein kleiner Regentropfen dasselbe Gewicht wie ein kosmischer Feuerball gewinnt. Und auf dem rechten Ausleger steht gar eine Wohnzimmer-Couch, auf der sich Nena später unter dem "Silbermond" ausruhen wird. Dies ist die Kulisse für ein wundersames "Carpe diem": Nena pflückt sich aus ihrem Hit-Repertoire kurze Zeilen, um sie als Stichwort an die ebenso begeistert wie sehnsüchtig singenden Zehntausend vor der Bühne weiterzureichen. Dann wieder unterbricht sie sich mitten in einem der Klassiker, um die Fans zu noch mehr Begeisterung zu ermuntern - und den Party-Pegel wenig später durch eine kuriose Country-Session und den relativ unbekannten Song "Keine Langeweile" mit ihrem Freund "Nico aus Berlin" abzuwürgen.

Es ist eine emotionale Achterbahn-Fahrt, die sich von der Gastgeberin auf ihre Gäste überträgt - und die offenbar von der Tatsache beherrscht wird, dass sich aus dem sentimentalen "Weißt du noch?" nur eine begrenzte Menge Spaß für die Gegenwart ableiten lässt.

Das wird sich am nächsten Tag in der Diskussion auf den Internet-Seiten zeigen, wo sich bittere Enttäuschung und ungetrübte Begeisterung mischen. Und es zeigt sich beim Blick auf die vorzeitige Abwanderung sowie auf irritierte Gesichter, als das "Hast du etwas Zeit für mich" dann doch noch durch die Nacht geistert. Die "Neunundneunzig Luftballons" sollen wieder steigen. Ihre Sängerin aber schaut ihnen ungläubig hinterher.