Nazi-Raubkunst Nazi-Raubkunst : Marc-Aquarell stammt aus Moritzburg Halle
Halle (Saale)/Augsburg/mz - Sensationell, aber behördlich anderthalb Jahre lang verschwiegen war der Fund von 1 406 Bildwerken der Moderne in der vermüllten Wohnung eines 80-jährigen „Rentners und Sonderlings“ namens Cornelius Gurlitt in München. Mit dem Medienwirbel gerät seit dem Wochenende ein Name aus der Kunstgeschichte in die Öffentlichkeit, der bisher nur Spezialisten geläufig war. Spezialisten auf den labyrinthischen Schicksalswegen der „Entarteten Kunst“, die die Nazis in ihrem Feldzug gegen alles Moderne und alles Jüdische den Museen abpressten – auch, und massenhaft, in Halle.
Der fragliche Besitzer des Bilderschatzes ist der Sohn von Hildebrand Gurlitt (1895-1956), der zu einer Dresdner Dynastie von Kunsthändlern, Kunst- und Musikwissenschaftlern gehörte. Hildebrand Gurlitt war wie sein Cousin Wolfgang in die Aktion „Entartete Kunst“ verstrickt, und war doch zugleich auch ein Opfer davon.
1914 erworben
Die Verluste an Bildwerken aus der halleschen Moritzburg hat er mit verursacht, wie sich gestern auf der Pressekonferenz der Augsburger Staatsanwaltschaft sichtbar bestätigte. Aus ihren Recherchen zum Konvolut des Sohnes zeigte die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann unter den wenigen ausgewählten Beispielen ein Foto des Aquarells "Pferde in Landschaft" von Franz Marc. 1914 hat Max Sauerlandt das Bild erworben, der erste Direktor der einst städtischen Galerie, in der er eine der frühesten öffentlichen Sammlungen umstrittener neuer Kunst aufbaute.
Damit war sie unvermeidlich auch Hassobjekt der „Säuberer“, die 1937 die vermeintlichen Schandbilder aus den Museen holten, um sie in der Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger des „Kulturzerfalls“ und des „Kunstbolschewismus“ zu stellen. Die angebliche Horrorschau tourte - unter gewaltiger Anteilnahme der Bevölkerung - vom Ursprungsort München noch bis April 1941 durch 13 deutsche und österreichische Städte.
Schon während der Laufzeit machte sich Hermann Göring, Reichsmarschall, Schöngeist und treibende Kraft hinter der Aktion, Gedanken um die „Verwertung“ der Bildwerke. Zwar wurden im März 1939 immerhin 5 000 „unverwertbare“ Kunstwerke im Hof einer Berliner Feuerwehr verbrannt, aber ohne propagandistischen Spuk wie bei der Bücherverbrennung. Die Nazis wollten sich nicht die Blöße geben, eine wenn auch von ihnen verachtete Kunst zu vernichten. Stattdessen beauftragten sie vier international verankerte Kunsthändler, die Kontakte zu Sammlern der Moderne hatten, mit dem Verkauf der Werke ins Ausland.
Museumsdirektor in Zwickau
Einer dieser Händler war Hildebrand Gurlitt. Diese Wahl war kapriziös. Denn Gurlitt war von 1925 bis 1930 Museumsdirektor in Zwickau, und war dort, was Sauerlandt für Halle war: Geschmackssicherer Sammler von Werken des deutschen Expressionismus. Er beauftragte gar das Dessauer Bauhaus mit der Gestaltung der Räume. Doch in Zwickau machte der „Kampfbund für die deutsche Kultur“ Stimmung gegen ihn. Die Organisation, geleitet von Alfred Rosenberg, dem späteren Reichsleiter und Mit-Organisator von Kunst-Raubzügen in ganz Europa, hetzte in der Presse gegen die „Schmierereien von Kokoschka“, die „Krikel-Krakel von Klee“, das „Untermenschentum von Kollwitz, Zille, Barlach“ – den Heroen der Sammlung im Museum.
Gurlitt musste gehen, aber das hinderte die Nazis nicht an der Zusammenarbeit mit ihm – er handelte sogar mit dem Aufbauleiter des „Führermuseums Linz“. Und es hinderte ihn nicht an einer Kollaboration mit dem Ausverkauf der „Entarteten Kunst“, was er später, wie seine Kollegen, als eine Quasi-Rettungstat für bedrohte Kunstwerke ausgab. Zwar kamen mit den Verkäufen Devisen ins Land, aber die Summen waren gering. Die Händler verdienten 20 bis 25 Prozent Provision, und sie fanden durchaus nicht nur Interessenten im Ausland, wie es verlangt war, sondern auch verschwiegenes Klientel im Inland. Manches behielten sie auch für sich selbst. Manche Werke der Moderne wurden auch getauscht, gegen Gemälde des 19. Jahrhunderts, aber zahlenmäßig in einem grotesken Missverhältnis.
Man muss sich die Händler als Geschäftsreisende vorstellen, die ihre Aufträge vertraglich absicherten. Man ist daher genau informiert, wer welche Kunstwerke übernahm. Es waren 40 aus der Moritzburg, die durch Gurlitts Hände gingen. Für sechs von ihnen war bis gestern das weitere Schicksal unbekannt, denn das Tierbild von Marc war eines der verschollen geglaubten. Daher ist jetzt die Hoffnung groß, dass auch andere Bilder aus Gurlitts Hand in der Obhut der Augsburger Staatsanwälte sind. Das großartigste davon wäre das Doppelbildnis von Otto Dix mit seiner Frau, dessen Kauf 1926 Sauerlandt noch kurz nach dem Ende seiner Amtszeit befürwortete: „Ich sehe das Künstlerische in dem geheimnisvoll Geistigen, das man als magisch bezeichnen möchte.“
Verschollene Zeichnungen
Doch Gurlitts „Tätigkeit“ im Ausverkauf der Moritzburg erschöpft sich nicht mit der „Entarteten Kunst“. 1941 oder 1942 übernahm er vom NS-eingesetzten Museumsleiter Robert Scholz – davor „Kunstschriftleiter“ beim „Völkischen Beobachter“ und Leiter von Rosenbergs „Sonderstab Bildende Kunst“ – ein „Stück bemalte Pappe“ von Max Liebermann sowie etliche Zeichnungen des verfemten jüdischen Malers. Das Ölbild befindet sich nach Angabe von Moritzburg-Kustos Wolfgang Büche in einer Privatsammlung. Wo die Zeichnungen sind, weiß niemand. Sind sie auch beim Sensationsfund von München dabei?
Gurlitts Anteil am „Sonderauftrag Linz“ und dem damit verbundenen Kunstraub in Museen und bei jüdischen Sammlern erklärt wahrscheinlich das Ausmaß des Fundes weit über die „Entartete Kunst“ hinaus. Wie kann es nun weitergehen? Selbst wenn Fachleute die Herkunft all der Werke lückenlos klären, werden Juristen ihr Schicksal entscheiden. Allein schon die Frage nach der Rechtsposition von Gurlitts Handel lässt weit offen, wem der gefundene Schatz letztendlich gehört. Doch unendlich glücklich ist der Umstand, dass die verfemten Bilder der Versenkung entrissen sind, der sie ausgeliefert waren.