Narco-Literatur Narco-Literatur: Der Stoff, aus dem Krimis sind
Der bizarre mexikanische Drogenkrieg fordert nicht nur jeden Tag Dutzende Tote, er fördert auch die Phantasie der Schriftsteller. 50.000 Menschen sind in fünf Jahren dem Ringen um Reviere und Rauschgift zum Opfer gefallen. Hunderttausende wurden vertrieben, Tausende Kinder sind zu Waisen geworden.
Doch je übler der Krieg tobt, desto mehr Bücher erscheinen zum Thema. Auf der Suche nach Erklärung, was in ihrem Land vorgeht, verschlingen die Mexikaner Dokumentationen und Analysen. Sachbücher über den Kampf der Kartelle gehörten auf der Anfang des Monats zu Ende gegangenen Internationalen Buchmesse in Guadalajara (FIL) zu den meistvorgestellten Neuheiten.
Altmeister Élmer Mendoza
Aber mehr noch als die Sachbücher zieht die Menschen die Fiktion in den Bann: „Narco-Novelas“, Krimis aus dem Milieu um Kokain, Korruption und Kartelle von Autoren wie Élmer Mendoza und Yuri Herrera sind Verkaufsschlager. Aber auch außerhalb Lateinamerikas ist Mexikos Drogenkrieg in Mode. Beide Autoren werden im Frühjahr ihren zweiten Roman in deutscher Übersetzung vorlegen. Das literarische Interesse an Mexiko und dem Drogengeschäft sei „sehr groß“, heißt es dazu beim Suhrkamp-Verlag, der Élmer Mendozas Bücher und andere aus dem Genre verlegt.
Der 62-jährige Mendoza ist so etwas wie der Altmeister der Narco-Novelle. Er schreibt seit 1999 Geschichten um Verbrechen und Verbrecher vor dem Hintergrund der Drogenkultur seines nordmexikanischen Heimatstaates Sinaloa. Mendoza verwebt in seine Krimis den Mythos um und die Verehrung für die „Capos“. Man erfährt von den Schrullen der Drogenbosse, von ihren Vorlieben für Silberkugeln und Versace-Hemden, man lernt ihren Schutzheiligen kennen und erfährt, dass die Kartelle auch Kirchen und Schulen bauen und für die Bevölkerung mancherorts mehr tun als der Staat.
Die Herausforderung bei einem Narco-Roman sei es, eine „Ikone in einem fast magischen Umfeld zu schaffen“, sagt der Autor. Kaum einem gelingt das so authentisch wie ihm. Denn er stammt so wie die Mehrheit der großen und meistgesuchten Rauschgiftkönige Mexikos aus Sinaloa und hat dort fast sein ganzes Leben verbracht. „Ich bin mit all dem aufgewachsen. Ich fühle mich in diesem Stil sicher“, sagt Mendoza.
Aber erst seit der Drogenkrieg so entfesselt ist, verkaufen sich seine Bücher richtig gut. Die Menschen suchen in der Literatur die Antworten, die sie von der Politik nicht bekommen. „Es ist ein brennendes Thema, aber die Menschen verwechseln oft Realität mit Fiktion“, sagt der Schriftsteller und erzählt die Geschichte, wie ihn vor kurzem ein Bürger aus seiner Heimatstadt Culiacán beim Autowaschen fragte: „Was ist die Lösung von all dem Wahnsinn?“ Mendoza, ein großer bärtiger Mann mir sanfter Stimme, erzählt die Begebenheit noch immer ungläubig und wundert sich über die Wirkung der Narco-Novellen: „Wir haben in unseren Büchern vielleicht vorhergesehen, was passiert. Aber die Menschen denken, dass man die Antwort auch in der Realität kennt, wenn man sie in der Fiktion hat.“
Spagat zwischen Wahrheit und Fiktion
Lange beackerte der 1949 geborene Mendoza das Genre des Narco-Krimis alleine. Mittlerweile wächst allerdings eine junge Generation von Schriftstellern heran, die erfolgreich Polizeiromane aus dem Narco-Milieu schreibt. Zum Beispiel Yuri Herrera (1970), der den Leser in seinem Debütroman „Abgesang des Königs“ in die Welt der „Narco-Corridos“ einführt, jene populären Moritaten, in denen Dutzende von Bands das Hohelied auf die Drogenbosse singen. Oft genug bezahlen das die Sänger in der Wirklichkeit mit dem Leben.
Neben Herrera und Mendoza gehört vor allem der 1953 geborene US-Krimiautor Don Winslow zu den Vertretern der neuen Narco-Novelle. Sein 2010 auf Deutsch vorgelegtes Werk „Tage der Toten“ ist der perfekte Doku-Roman. Auf knapp 700 Seiten erzählt Winslow rasant und spannend die Geschichte der Drogenkartelle in Mexiko vom Ende der 70er Jahre bis in die Gegenwart nach. Der ehemalige Privatdetektiv Winslow hat sechs Jahre lang bis aufs Detail genau recherchiert, all seine Charaktere haben reale Vorbilder. Seit kurzem liegt der nicht ganz so dicke und nicht ganz so gute Fortsetzungsroman „Zeit des Zorns“ vor.
Luis Humberto Crosthwaite ist ein anderer Autor, der perfekt den Spagat zwischen Fiktion und Wahrheit beherrscht. Der 1962 in Tijuana geborene Schriftsteller, dessen Werke bisher nicht in deutscher Übersetzung vorliegen, schafft es, in seinem Buch „Tijuana: Crimen y Olvido“ (Verbrechen und Vergessen) den realen Mord an einer Journalistin in eine fiktive Geschichte zu verwandeln.