Nackte Hintern und Puddingbombe Nackte Hintern und Puddingbombe: Die Kommune I wurde vor 40 Jahren gegründet
Berlin/dpa. - Gruppensex, freie Liebe und Aktionen wie dasgeplante «Puddingattentat» auf den US-Vizepräsidenten: Das sind dieAnekdoten und Mythen, die sich um die Kommune I in Berlin ranken unddie jetzt Stoff für einen Kinofilm sind. Vor 40 Jahren zogenKommunarden wie Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann in eineAltbauwohnung am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Dort entstand1967 das berühmte Nackt-Foto für den «Stern», das den BewohnernFanpost einbrachte wie heute den Stars aus den Casting-Shows.
Die Kommune I, die sich zwei Jahre lang an wechselnden Ortenausprobierte, gilt in Deutschland als Vorläufer aller WGs und alsMeilenstein der Studentenbewegung - vergleichbar mit dem «Sommer derLiebe» und den Vietnamkriegs-Protesten der amerikanischen Hippies.Wenn heute noch Putzpläne in den Wohngemeinschaften hängen,nächtliche Beziehungsdiskussionen geführt werden und Kinder in die«Kita» kommen, geht das nicht zuletzt auf die Studenten aus derKaiser-Friedrich-Straße zurück. Sie wollten den Mief der prüden undkapitalistischen Nachkriegsjahre vertreiben.
Teufel und Rainer Langhans gehörten zu den Medienstars der 68erGeneration, später kam Langhans' damalige Freundin Uschi Obermaierdazu. Obermaiers Geschichte erzählt der Film «Das wilde Leben», deram 1. Februar in die Kinos kommt. Das ehemalige Top-Model (60) lebtmittlerweile als Schmuckdesignerin in Kalifornien. Zeitgleich zumFilm hat Obermaier gemeinsam mit Olaf Kraemer ihre Autobiografieverfasst, die unter dem Titel «High Times - Mein wildes Leben» zumFilmstart im Heyne Verlag erscheint. Langhans, dessen berühmterLockenkopf ergraut ist, lebt heute in einem «Harem» in München, wiedas «Munzinger»-Personenarchiv notiert.
Die Post an die Kommune I lagert im Archiv des Hamburger Institutsfür Sozialwissenschaft. Darin boten Mädchen an, für die «KI» denAbwasch zu übernehmen - wenn sie dafür nur einmal einen Blick auf dieLebensgemeinschaft werfen durften, wie der PolitikwissenschaftlerWolfgang Kraushaar berichtet. Er nennt die Kommunarden einen«medialen Fixpunkt». «Die wurden ganz schnell zu Popstars desProtests.»
«KI»-Mitgründer Ulrich Enzensberger schreibt in seinem Buch «DieJahre der Kommune I» nicht ohne Selbstironie: «Wir sind die Erfinderder Spaßgesellschaft», zugleich spricht er auch vom «Schlangenei, ausdem die Rote Arme Fraktion gekrochen ist». Chef-Provokateur wardamals Kunzelmann. «Was geht mich der Vietnamkrieg an, wenn ichOrgasmusschwierigkeiten habe», lautet sein viel zitierter Ausspruch,der den Studenten den Ruf einbrachte, sich mehr für die freie Liebeals für den Weltfrieden und den Klassenkampf zu interessieren.
Ihr erstes Quartier fanden die Studenten im Januar 1967 in derAtelierwohnung des Schriftstellers Uwe Johnson in Berlin-Friedenau.Der musste in New York in der Zeitung lesen, dass in seiner WohnungStudenten einen Bombenanschlag auf den amerikanischen Vize-Präsidenten Hubert H. Humphrey geplant hätten. Wie die Polizeifeststellte, bestanden die Zutaten für die «Bombe» zwar ausPuddingpulver, Mehl und Yoghurt, der Ärger war aber groß. Nach dem«Puddingattentat» mussten die Studenten ausziehen, sie lebten danneinige Zeit in Charlottenburg, bevor sie nach Moabit gingen und sichnach zwei Jahren in alle Winde zerstreuten.
Die Kommune I war ein Produkt ihrer Zeit. Damals galt noch der«Kuppelparagraf», der Studenten als Untermieter keinen Damenbesucherlaubte; Oswalt Kolle faszinierte die Massen mit seinerSexualaufklärung. Täglich lasen die Kommunarden die Springer-Presse,um zu sehen, wie ihre oft per Flugblatt gestarteten Aktionen ankamen.Welche Wellen die Kommune als «soziokulturelles Experiment alsGegenentwurf zur Familie» schlug und wie sich eine solche kleineGruppe in den Medien vermittelte, sei historisch einmalig, meint derPolitikwissenschaftler Kraushaar. «Das ist ein ganz außerordentlichesPhänomen.»
Uschi Obermaier, die als Ikone der 68er nun zur Leinwandfigurwird, hat heute keine Lust mehr auf soziale Experimente. Auf dieFrage, ob sie sich noch vorstellen könne, in einer Kommune zu leben,sagte sie unlängst in einem Interview: «Nein, um Gottes Willen. Ichwill meinen Kühlschrank allein.»