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Nachlese zur 1Live Krone 2014 Nachlese zur 1Live Krone 2014: Ein lanz-artiges Festival der Inhaltsleere

Von Martin Weber 05.12.2014, 05:32
Hübsch selbstironisch: Herbert Grönemeyer sorgte in seiner Heimatstadt als eine Art Nationalheiligtum für die Unterhaltung.
Hübsch selbstironisch: Herbert Grönemeyer sorgte in seiner Heimatstadt als eine Art Nationalheiligtum für die Unterhaltung. dpa Lizenz

Bochum - Die prägnanteste Begrüßung

… kommt von Dennis aus Hürth und klingt so: „Guten Abend, ihr Ottos!“ Wenn eine perfekt ausgedachte Figur, in der ausgeprägte Geistesschlichtheit und stabiles Selbstbewusstsein eine beschwingte Allianz eingehen, die versammelte Medien- und Musikerschar so willkommen heißt, weiß man: Besser wird’s nicht an diesem Abend. Dass der nach dem erfrischenden Kurzauftritt von Dennis (verkörpert von dem  Comedian Martin Klempnow) als Präsentator der „Video Krone“ – „Das Internet, wer kennt es nicht?!“ – trotzdem weiterging, war nicht zu verhindern. Dabei war der… 

Opener des Abends

…gar nicht übel. Farin Urlaub, der zusammen mit Die Ärzte bisher noch jede Preisverleihung weiträumig umfahren hat, spendiert als „Captain Award“ dem Moderatorenpaar des Abends, Jeannine Michaelsen und Simon Beeck, die Idee fürs Reinkommen in den Abend: „Wenn nichts mehr geht, machst du halt ein Swing-Album“. Was schon bei Robbie Williams perfekt funktionierte, klappt auch bei der „1LIVE Krone“: So selbstironisch wie strukturiert dilettantisch swingen sich Frau Michaelsen und Herr Beeck, der auch ohne Baseballcap (die ansonsten immer auf seinem Kopf festgetackert ist) so aussieht wie der lange verschollen geglaubte Zwillingsbruder von Ed von Schleck, lässig auf die Showbühne. Ab diesem Moment aber war’s so, wie’s ein Songtitel von Hildegard Knef vorgibt: „Von nun an ging’s bergab“. Was folgt, ist die erste… 

Sache, die man ohne Weiteres entbehrlich finden kann,

…nämlich der Auftritt von Disko No.1, der Haus- und Hofband von Jan Delay, die an diesem Abend zugleich als „Krone“-Band fungiert. Als Vorstand einer gewinnorientierten Firma (und nicht anderes ist die, der Delay vorsteht), macht er das, wofür gewinnorientierte (Musik-)Firmen bekannt sind: Wenn sie einmal mit einem Trademark-Sound erfolgreich sind, fiedeln sie diesen Trademark-Sound bis zum Gehtnichtmehr weiter.

Deshalb klingt das Rock-Album, das Delay unter dem puppenlustigen Titel „Hammer & Michel“ veröffentlichte, wie ein gedopter Muskelprotz aus der Disko-, Funk- und Soul-Muckibude. Und deshalb klingt auch „Die Reklamation“, im Original ein zickiger und hypernervöser Popsong von Wir sind Helden, in der Coverversion von Delay wie eine Big-Band-Band-Nummer auf dem „Traumschiff“. Handwerklich perfekt gespielt, aber leider komplett seelenlos.

Die erste Sache, die man ohne Weiteres komplett entbehrlich finden kann, führt ansatzlos zur…

zweiten Sache, die man komplett entbehrlich finden kann,

... denn Kraftklub, diese im Grunde genommen höchst erfreuliche Band aus Chemnitz, lässt sich auch von Jan Delay und Disko No. 1 einkassieren. „Wie ich“ klingt in der Big-Band-Version nicht ganz so spannend und abwechslungsreich und ist erst recht nicht so innovativ wie seinerzeit James Last auf seinen bahnbrechenden Alben „Nonstop Dancing Vol. 1-10“. Was dem Publikum in Bochum aber schnurzpiepegal ist. Das bejubelt ohne Umschweife das…

Geburtskind des Abends

Marteria wird am 4. Dezember flotte 32 und bekommt ein Geschenk, das man sich nicht kaufen kann; er wird als „Bester Live-Act“ ausgezeichnet. Weitere Preisträger der „1LIVE Krone“ in der Version 2014 neben dem Schnullibulli-Pop-Rapper Cro („Beste Single“, „Bestes Album“, „Beste zweifarbige hautfreundliche Tiermaske“) wollen sie bitte dem „Internet, wer kennt es nicht?!“ (noch einmal danke, Dennis aus Hürth) entnehmen.

Clueso

Kraftklub

CRO („Traum“)

CRO („Melodie“)

Marteria

Kollegah

ApeCrime

Bülent Ceylan

Joko Winterscheidt & Klaas Heufer-Umlauf

Denn um die Preisträger an sich geht es an diesem Abend gar nicht, es geht darum, das Radioprogramm von „1LIVE“ noch einmal im Internet und im Fernsehen zu spiegeln, sich selbst tüchtig auf die Schultern zu klopfen und den Selbstbeweihräucherungskessel tüchtig unter Dampf zu halten. Zu diesem Zweck steigern sich Jeannine Michaelsen und Simon Beeck im Laufe des Abends in eine gewisse…

Lanz-artigkeit der Show

…hinein. Alles, jedes, jeden und jede finden die beiden wahlweise „fantastisch“, „großartig“, „toll“ oder „wundervoll“, sie lanzen (garantiert ein Eintrag bei der nächsten Duden-Auflage) wirklich nach Stimmbandkräften herum, und wenn man hemmungslos herumlanzt (fragen Sie ruhig mal das Original, Markus Lanz) und alles superfantastisch findet, ist sehr schnell gar nichts mehr besonders. Weil ja alles gleich toll ist. Den beiden aber geht die Lobhudelei-Puste nicht aus. Auch dann nicht, als das

Nationalheiligtum des Landes,

... namentlich Herbert Grönemeyer, am Klavier beim Song „Morgen“ zeigt, dass er niemals Billy Joel wird. Macht  nichts, der echte Billy Joel ist ja noch quicklebendig, und bei aller serienmäßigen  Hölzernheit seiner Texte – „Wirst du dich für mich verwenden?“ –  ist Onkel Herbert hübsch selbstironisch. Zwischendurch den Text vergessen? Wumpe, das fängt ein alter Balladenhase wie er locker auf und singt stattdessen die „Aaaahs“ und „Ooohs“ so grönemeyeresk, dass sich Grönemeyer-Imitatoren wie Ingo Appelt schon jetzt schämen sollten. Auch dann, wenn sie ihn erst demnächst wieder schlecht nachmachen. Nachgemacht – sorry für diesen Dellingnismus – ist übrigens beim… 

Sonderpreis des Abends    

…gar nichts, da ist alles echt. Vor allen Dingen: echt bizarr. Erwähnten wir schon, dass es an diesem Abend gar nicht in erster Linie um die Preisträger geht? Ja?! Sorry. Muss aber noch mal sein. Hier die Sonderpreisträger der vergangenen Jahre: Stefan Raab (2010), die WDR-„Tatorte“ aus Münster und Köln (2011), Pussy Riot (2012), Wolfgang Niedecken (2013). And now, German Jugend-Radiowelle „1LIVE“ proudly presents the Sonderpreis 2014, it goes to: Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt. Warum nicht auf einen Zug aufspringen, der schon lange extrem schnell unterwegs ist?

Inhalte sind bei einer Preisverleihung wie der „1LIVE Krone“ eher hinderlich, es geht darum, irgendetwas Beliebiges in eine vorgefertigte Form zu gießen. Ein einordnendes oder gar kritisches Wort zum Musikjahr 2014, etwa zu den unappetitlichen rechtsnationalen Äußerungen des Mannheimer Wimmerschinkens Xavier Naidoo, „Bester Künstler“ bei der „Krone“ 2006 und seit vielen Jahren fester Bestandteil der Playlist? Pustekuchen. Für so etwas haben wir doch keine Zeit, die… 

Inhaltsleere Nummernrevue,

… die perfekt ausgeleuchtet und aalglatt ins Bild gesetzt wird, muss weitergehen. Die Kategorie „Bester Plan B-Act“ (das ist das Format, bei dem es abends ab 20 Uhr um relevante Musik fernab des Tagesbreis geht) ist in diesem Jahr abgeschafft worden, und außerdem steht Jan Delay schon wieder in den Startlöchern. Ohne Zweifel erinnert er bei der Ausübung seines Jobs mitunter an einen Tierpräparator. Ein Tierpräparator mag ein Lieblingstier haben, aber letztendlich ist es ihm egal, ob er ein Eichhörnchen oder einen Elefanten für die Nachwelt erhält; die Konservierung eines Elefanten macht halt nur deutlich mehr Arbeit und dauert länger als die eines Eichhörnchens. In Bochum dauert an diesem Abend nix lange, in rund drei Minuten verhandeln Marteria, Sido und Kollegah als „Monsters of Rap“ ein paar ihrer Hits untereinander und gehen zuverlässig im Sound von Delays Band Disko No. 1 unter, mit schönen Grüßen vom Hochleistungstrommler und der Bläsergruppe mit der Lungenkapazität von Apnoe-Tauchern. Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine Reise... 

Zurück in die Zukunft,

… denn im kommenden Jahr sind Die Toten Hosen, mit sechs Kronen immer noch Rekordpreisträger, bestimmt wieder dabei. Und vielleicht ist die „Krone 2014“ ohne Campino, Bob Geldofs neuem Statthalter in good old Germany, ja gar nicht gültig. Notiz an uns selbst: Schnellstmöglich jemanden kontaktieren, der sich mit der Gültigkeit von Awards auskennt.