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Nach dem Monsun Nach dem Monsun in Leipzig: Tokio Hotel gastiert im Haus Auensee

Von Mathias Schulze 03.04.2017, 10:21
Bill Kaulitz, der Frontmann von Tokio Hotel, beim Tourstart in London.
Bill Kaulitz, der Frontmann von Tokio Hotel, beim Tourstart in London. tokio hotel/dpa

Leipzig - Dunkle Gewitterwolken, Blitze zucken apokalyptisch am Himmel, der Wind kündigt baldige Entladung an. Zeitgleich beginnt am Samstagabend unter schützendem Dach ein Konzert von Tokio Hotel in Leipzig mit dreiviertelstündiger Verspätung.

Das mittlerweile fünfte, durchweg englischsprachige Album „Dream Machine“ der Band aus Sachsen-Anhalt steht im Vordergrund, die Gegensätze zwischen drinnen und draußen können nicht größer sein. Naturschauspiele treffen auf artifizielle Experimente.

Tokio Hotel 2017: Konzert in Haus Auensee Leipzig

Schon bevor der schwarze Vorhang fällt und sich der stilistische Wandel zeigt, wird das nicht ausverkaufte Haus Auensee mit schrillem Kreischen geflutet.

Nur vereinzelt, meistens als Begleiter, finden sich Vertreter der Ü40-Generation. Über fast jedem Haupthaar wackelt durchgängig, also schlanke 90 Minuten lang, ein mitfilmendes Smartphone. Und dabei sehen weder Bühnenbild noch Kostüme wie ein klassisches Teenie-Konzert aus.

Ohne Frage, Tokio Hotel wirkt nicht mehr wie jene Band, die 2005 mit dem deutschsprachigen Pop-Rock-Album „Schrei“ einen internationalen Durchbruch schaffte. Heute steht ein mit Farb- und Lichtspielen ausgestattetes Podest auf der Bühne. Obenauf: Sänger Bill Kaulitz, Gitarrist Tom Kaulitz, Bassist Georg Moritz Hagen Listing und Schlagzeuger Gustav Klaus Wolfgang Schäfer, die in futuristischen Kostümen stecken.

Tokio Hotel erinnern ein wenig an Depeche Mode oder Kraftwerk

Zweifelsohne, das Ganze soll künstlerisch wertvoll wirken. Assoziationen, wonach hier von der Kanzel gepredigt oder vom Thron gesprochen wird, sind nicht von der Hand zu weisen. Elektronische Klänge, Disco-Beats, Synthie-Pop, artifizielles Brummen, Weltallschmerzen. Das geneigte Publikum mag sich an The Cure, Depeche Mode, Kraftwerk oder Daft Punk erinnert fühlen.

Es ist aber durchaus erstaunlich, mit welcher monotonen Gleichförmigkeit die Songs undifferenziert ineinanderfließen. Über dem Konzert hängt die Aura der Blutleere, auch die schwer zu verstehenden Anmoderationen und enthusiastische Publikumsausbrüche können den klinischen Klangteppich, der im wohlwollenden Fall mit einer lauten Lounge-Atmosphäre zu vergleichen ist, nicht auffrischen. Von Langeweile kann aber auch gesprochen werden.

Dazwischen, gleichsam als Konstante im Tokio-Hotel-Schaffen, flattert der nun blondierte Bill Kaulitz mal im schützenden Kettenhemd, mal im lasziv durchsichtigen T-Shirt über die Bühne. Offenheit und Rückzug, Androgynie. Willkommen im Kosmos von Körper- und Identitätsfragen, diese Suche kann mitunter das ganze eigene Universum umspannen.

Im Song „Something New“, zu finden auf der neuen Platte, heißt es: „Ich suche etwas Neues / Ich weiß nicht was / Ich suche danach“. Das entsprechende Video zeigt einen von Zivilisationskrach Geschädigten, der plötzlich in einer kahlen Wüste aufwacht. Soll es mit synthetischem Pop und Leuchtstoffen zurück zur Natur gehen?

Tokio Hotel erinnern mit „Durch den Monsun“ an den damaligen Hype

Natürlich ist damit auch eine Anspielung auf die bisherige Bandgeschichte ausgesprochen, Bill und Tom Kaulitz, beide in Leipzig geboren und heute gerade einmal 27 Jahre jung, zogen aus Selbstschutz vor allzu neugierigen Fans vor sechs Jahren nach Los Angeles.

Die Philosophie des neuen Stils ist schwer zu fassen, vermutlich ist auch eine Portion eingängiger Belanglosigkeit ein Grund für den internationalen Erfolg von Tokio Hotel. Ganz am Ende erinnert noch einmal der frühe, deutschsprachige Hit „Durch den Monsun“ an den damaligen Hype. Die Fans danken es begeistert. (mz)