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MZ-Interview MZ-Interview: Keimzeit - Kling Klang in Familie

17.05.2012, 16:19

Halle (Saale)/MZ. - Ihr Song "Kling Klang" wurde 1993 zum Hit. Mit ihrem zehnten Studio-Album "Kolumbus" geht Keimzeit in aktueller Besetzung auf Jubiläums-Tournee. Heute spielt die Band um 20 Uhr im halleschen Steintor-Varieté. Am 8. Juni ist sie im Alten Schlachthof Dresden zu erleben, tags darauf steht sie auf der Bühne der Festung Mark Magdeburg. Im Stadtpark Dessau gibt es Keimzeit am 11. August Open Air. Sylvia Pommert hat mit Bandchef Norbert Leisegang gesprochen.

"Kolumbus" oder "Kling Klang" - was gibt es beim Keimzeit- Jubiläum zu hören?

Leisegang: Genau genommen haben wir zwei Jubiläen: Die Band wird 30 Jahre alt, und wir haben mit "Kolumbus" Ende April das zehnte Studioalbum herausgebracht. Beides erfüllt uns mit Stolz. Wer 30 Jahre zusammenarbeitet, sei es in einer Band oder in einem Team, der weiß, dass man da alle Höhen und Tiefen mitnimmt. Und wir wissen, dass es ein Geschenk ist, wenn man nach all der Zeit noch gemeinsam auf der Bühne stehen darf. Es ist uns also ein großes Bedürfnis, neben einer Werkschau immer auch unsere aktuelle Befindlichkeit zu zeigen. Und das haben wir mit dem neuen Album getan. Auf unseren Konzerten - ich glaube, es sind 55 in diesem Jahr - werden wir also viele Songs aus "Kolumbus" spielen. Und es sind unsere Klassiker dabei. Darunter Titel, die wir aus den Augen verloren hatten wie "Rosi" oder "Tausend Leute wie ich". So zweieinhalb Stunden wird man uns schon erleben.

Sie sind bekannt für ausgiebige Konzerte - fünf Stunden und länger.

Leisegang: Als wir begannen, Musik zu machen, da musste eine Band schon über vier, fünf Stunden unterhalten können.Das haben wir in den 80ern auch gemacht. Daran erinnern sich viele. Mittlerweile hat sich das Konzertverhalten auch von Keimzeit-Besuchern verändert. Zwei Stunden sind in Ordnung. Dann geht es in die Zugaben, und dann ist aber auch Schluss.

Sind Keimzeit-Besucher vor allem ein Stammpublikum?

Leisegang: Viele Leute im Publikum haben uns schon in den 80ern und 90ern begleitet. Aber es kommt immer auch generationsübergreifend neues Publikum ins Konzert. Mir ist es am liebsten, wenn die Keimzeit-Fans so bunt wie möglich sind.

Sie sind eine Familienband. Wann haben Sie und Ihre Geschwister beschlossen, Musik zu machen?

Leisegang: Das ist ganz einfach: Die Leisegang-Eltern pflegten immer schon Hausmusik. Und wir Kinder wurden durch die Eltern angeregt, bestimmte Instrumente zu lernen, also Gitarre oder Akkordeon. Sie schauten schon, dass wir guten Unterricht bekamen. Und als wir flügge wurden, war es naheliegend, eine Band zu gründen. Wir haben einfach zum Jugendtanz aufgespielt.

Und groß herauskommen, berühmt werden, wollten Sie nicht?

Leisegang: Ach, wir wollten einfach nur alles, was in uns steckte an Unsinn und Energie, loswerden. Andere sind aufs Fußballfeld gegangen, wir haben es mit der Musik versucht. Zunächst haben wir das, was uns interessierte - in den 80ern war es die Neue Deutsche Welle - nachgespielt: Neonbabys, Ideal oder Extrabreit. Dazu kamen aber auch schon Blues und Boogie. Und dann haben wir das peu à peu erweitert, haben gemerkt, dass uns auch Jazz- und Latino-Rhythmen interessieren. Ich habe mich in Zigeunermelodien verliebt, habe Tom Waits entdeckt. Es kamen viele Einflüsse hinzu, so entstand der Keimzeit-Stil.

Trotzdem sind Sie Mathe-Physik-Lehrer geworden.

Leisegang: Richtig. Und als ich '85 das Studium abschloss, war mir klar, dass ich eigentlich nichts anderes machen wollte als Musik. Das war allerdings problematisch. Einfach so den Lehrer an den Nagel hängen und auf die Bühne gehen, war nicht möglich. Ohne Musikausbildung gab es keinen Berufsausweis.

Wie haben Sie es gelöst?

Name: Ich habe mich am Gesetz vorbeigedrückt. Es gab ein paar Scheinarbeitsverträge. Aber man kann sich vorstellen, wie glücklich ich war, als man mir '89 freistellte, was ich mache und wie ich mein Geld verdiene.

Ihre erste Band hieß Jogger, später wurde Keimzeit daraus. Welche Botschaft enthält der Name?

Leisegang: Er hat schon mit der Musik zu tun. Denn mit der Orientierung an der Neuen Deutschen Welle musste zwangsläufig ein deutscher Name her. Keimzeit war mein Geistesblitz. Das haben wir gleich genommen. Bis heute können wir gut damit leben.

Über die Jahre haben Sie viel experimentiert. Ihren Stil haben Sie als Müsli-Chanson-Rock'n'Roll bezeichnet. Die neue Scheibe scheint mir eher aus einem Guss. Sind Sie musikalisch angekommen?

Leisegang: Angekommen im gewissen Sinne schon. Aber es ist ja immer so beim Kolumbus-Thema: Man kommt zwar an, weiß aber von vornherein, dass man irgendwann wieder zu neuen Ufern aufbrechen sollte. Im Moment bin ich mit der Einschätzung des neuen Albums allerdings überfordert, weil ich emotional noch zu sehr an den Aufnahmen und am Schaffensprozess hänge.

Grundsätzlich ist es aber so, dass wir uns im vergangenen Herbst - zu diesem Zeitpunkt hatte ich so 15, 16 Songs geschrieben - Gedanken machten, mit wem wir das Album aufnehmen wollen. Und da kamen wir auf Paul Grau, mit dem wir schon "Stabile Währung Liebe" aufgenommen haben. Es war November, ein Monat, in dem niemand gern in Deutschland ist. Grau hat sein Studio in Andalusien. Dort waren mehr als 20 Grad. Wir mussten niemanden überzeugen, mit Paul Grau zu arbeiten. Die Entscheidung fiel schnell.

Und ich hatte mich schon gefragt, ob es hier keine Studios gibt.

Leisegang: Die gibt es. Aber wissen Sie, in Andalusien kann man sich einfach auch mal raussetzen und Stimmungen einfangen. Paul Grau hat seit mehr als zehn Jahren sein Studio dort. Es liegt direkt am Meer. Das ist wunderbar. Wir waren bestens aufgehoben.

Das erklärt alles.

Leisegang: Na jedenfalls 'ne ganze Menge. Denn wenn man eine ganze Band wie Keimzeit ins Studio holt, dann sollte man das nicht in heimischen Gefilden tun. Ansonsten hat jeder laufend irgendwelche Termine. Da muss man sich um die Kinder kümmern und was weiß ich alles. Aber wenn man ein paar Kilometer weg ist, sind alle bei der Sache. Es wird bestenfalls mal geskypt.

Über Keimzeit hinaus gibt es auch andere Projekte. Alle Bandmitglieder haben sie. Ihres heißt "Keimzeit Akustik ". Welche Möglichkeiten eröffnet es?

Leisegang: Am Anfang stand eine Schnapsidee. Ich hatte Keimzeit-frei und sollte auf einem Polterabend spielen. Ich fragte in die Runde, wer mitspielt. So entstand ein Quartett. Es klang gut, und es machte uns großen Spaß, in dieser Akustik-Variante zu spielen. Nach einigen Versuchen haben wir das Projekt auf seriöse Konzertbeine gestellt. Das hat funktioniert. Es kommen Leute, die nicht mehr so gern in Rock-Hallen, sondern lieber ins Theater gehen und sich sitzend ein Konzert anhören.

Und wie steht es mit Ihren Kinderbüchern?

Leisegang: Nach meinem Buch "Der Löwe schläft heut' Nacht", das auf dem gleichnamigen englischen Song basiert und von Irene Leps aus Zerbst illustriert wurde, erschien im Keimzeit-Verlag mit "Mama, sag' mir warum" Ende April ein ähnliches Projekt aus meiner Feder. Vermutlich wird es Ende des Jahres, ebenso wie beim "Löwen", auch dazu musikalisch-literarische Kinderprogramme geben. Da freue ich mich drauf.

In 30 Jahren Keimzeit gab es Auszeiten und andere Projekte, vor allem aber eine erfolgreiche Zusammenarbeit als Band. Ist die Familie nun eher ein Vor- oder ein Nachteil?

Leisegang: Eigentlich ist es toll, mit seinen Geschwistern Musik zu machen. Man muss allerdings dicht beieinander liegen - vom Alter her und den Interessen. Man merkt allerdings nach einer gewissen Zeit, dass sich auch Verständigungsschwierigkeiten und Krisen breitmachen. Man schleppt ja immer eine Art Kindheits- und Jugendmuster mit sich herum. Das kann hemmend sein. Innerhalb einer Familie ist man andererseits aber gewillt, Lösungen zu finden. Selbst wenn man sich trennt, bleibt man ja doch immer irgendwie zusammen. Bisher haben wir alle Krisen gemanagt und finden es noch immer ganz toll, als Geschwister auf der Bühne zu stehen.