MZ-Interview MZ-Interview: Galerie der Politiker
Halle (Saale)/MZ. - Bankenkrise, Umwelt-Desaster und natürlich das Führungs-Personal des Deutschland-Konzerns: All das sind Themen, die der schwäbische Kabarettist und Satiriker Mathias Richling in seiner neuen Show "Der Richling-Code" aufgreift. Am Sonnabend um 20 Uhr gastiert er im halleschen Steintor-Varieté. Sylvia Pommert hat Mathias Richling angerufen.
Richling: Hier ist, hmm ...
... ich vermute mal, Herr Richling.
Richling: Das stimmt, ich wollte mir irgendwas einfallen lassen. Aber Sie waren schneller.
Entschuldigung, ich wollte Sie nicht stoppen. Obwohl - man kann Sie doch gar nicht stoppen, oder?
Richling: Nee, das kann man auch nicht. Aber wir wollen ja zu Potte kommen, nicht wahr? Ich habe mal einen Anruf von einem Handwerker gehabt. Ich habe mich als seine Zentrale gemeldet. Da hat er wieder aufgelegt.
Wenn Sie mich hochnehmen wollen, bitte! Ich bin da unempfindlich.
Richling: Unempfindlich, ach, schön!
Legen wir los?
Richling: Gern.
In Ihrem Programm geht es um den Richling-Code. Wie knacken Sie den? Kann man etwas über die Herangehensweise erfahren?
Richling: Das ja, aber knacken werde ich ihn erst auf der Bühne. Beim Richling-Code geht es um eine Definition von Deutschland in der Situation des Missbrauchs. Wir werden ja eigentlich von allen Institutionen, in die der Bürger Vertrauen hat - Regierung, Banken, Kirche - enttäuscht. Wer also sein Geld auf die Bank bringt, der wird da verarscht. Wenn er in die Kirche Vertrauen hat, wird er ausgegrabscht. Alles bricht weg. Darum geht es. Und um Aussichten, wie es weitergehen könnte.
Das klingt ja düster.
Richling: Ach was! Das Programm widmet sich nicht nur der aktuellen Tagespolitik - also Herrn Pofalla, Frau Merkel, Schäuble, der das Griechenland-Paket erklärt und das Sparpaket dann auch, sondern es geht auch weiter. Ich stelle die Frage, woher es kommt, dass man Herrn Westerwelle Vorteilsnahme vorwirft. Sind wir da so viel empfindlicher geworden?
Sind wir?
Richling: Ja, wenn wir bedenken, dass uns vor 20, 30 Jahren die Flick-Affäre mit Helmut Kohl zwar aufgeregt hat - aber dann haben wir ihn trotzdem wiedergewählt. Er hatte 40, 50 Prozent, und das mit der Affäre. Herr Westerwelle ist heute bei 1,8 Prozent. Wir sind auch viel empfindlicher geworden, was Verschleuderung von Steuergeldern angeht und so weiter.
Wie tief muss man in der Politik stecken, um Ihre Pointen ganz - denn mitunter haben sie ja eine doppelte Ebene - genießen zu können?
Richling: Eigentlich nicht sehr tief. Denn das Geheimnis von Kabarett und Satire ist auch, dass man den Zuschauern so viel Information mitgibt, dass jemand, der sich im Moment nicht so auskennt, doch wenigstens die Pointe oder die Analyse versteht. Und der nächste Punkt ist: Man muss auch nicht alles verstehen. Sie sagen, in meinen Pointen ist eine doppelte Ebene enthalten. Aber es reicht mir auch manchmal als Zuschauer völlig aus, wenn ich die einfache schon begreife.
Ich begreife gerade gar nichts.
Richling: Ein Beispiel: Gehen Sie mal in eine Galerie: Da hängen ja wirklich Tausende von Sachen. Wenn Sie sich die alle angucken, werden Sie verrückt und kapieren überhaupt nichts mehr. Wenn Sie sich aber vielleicht 20 rauspicken und die intensiv anschauen, dann haben Sie sehr viel mehr davon. Und genauso ist es beim Kabarett. Man wird natürlicherweise immer nur das mit nach Hause nehmen, wofür man sich ohnehin schon interessiert. Und beim Rest langweilt man sich nicht. Es hängen genügend Bilder in meiner Ausstellung, dass man von allem etwas hat. Man muss nicht alles kapieren. Ich kapiere ja auch nicht immer alles.
Sehr beruhigend, vor allem für die Leser.
Richling: Manchmal entstehen Situationen, wo ich mich frage: Was finden die Leute denn daran komisch? Und erst nach zehn Vorstellungen merke ich, dass ich da aus Versehen eine Pointe geschrieben habe. Je weniger man versteht, desto mehr macht es ja Spaß. Die Zuschauer sagen: "Ah, wir haben ja neue Erkenntnisse gewonnen!" Das mitzunehmen, ist ja auch sehr sinnvoll an einem solchen Abend.
Letztlich landen Sie immer wieder bei Politikern, die aktuell agieren.
Sind sie tatsächlich so schlimm?
Richling: Ja was heißt schlimm. Das ist so ein Generalurteil. Erstmal muss man sagen: Im Bundestag sitzen meist Lehrer oder Anwälte, etwa zu 90 Prozent - auch im Kabinett übrigens. Nichts gegen Lehrer oder Anwälte. Aber wissen Sie, wenn Sie jetzt als Journalist hergehen und sagen: "Ach, ab morgen arbeite ich mal in einem Metzgerei-Fachbetrieb", dann wird der Chef fragen: "Was wollen sie hier eigentlich? Sie müssen ihren Job erstmal lernen." Woher also haben sie die Qualifikation, Politiker zu sein?
Und das fällt ins Auge?
Richling? Wir merken es ja seit Jahren, dass Politiker versuchen, das Geschäft insofern zu bewältigen, als dass sie meinen: Am besten ist es, wenn man nirgendwo aneckt. Aber nehmen Sie einen Herrn Stoiber, der ja nur von Ecken und Kanten lebte. Da brauchte ich ja nur "äh" zu sagen, und jeder wusste sofort: Das ist Herr Stoiber. Und man hat sich furchtbar an ihm gerieben, ob man ihn mochte oder nicht. Aber man wusste klar, wo er steht. Wissen Sie, wo Herr Rösler oder Herr Westerwelle stehen? Das heißt: Die Politiker glauben, wenn sie weniger markant sind, sind sie wählbarer. Im Gegenteil.
In mir regt sich Mitleid.
Richling: Ja, auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass das Geschäft brutal ist. Egal, was sie machen, sie werden zerfleddert. Ob das Frau Merkel ist oder Herr Rösler, die können ja nicht mal "Pups" sagen. Nein, wir nehmen Herrn Kretschmann hier in Baden-Württemberg: Der sagte neulich, dass weniger Autos ganz gut wären. Würden Sie von einem Grünen irgendetwas anderes erwarten? Jedenfalls gab es einen Riesenaufschrei: Die Autoindustrie geht baden und so weiter. So gesehen, stehen Politiker jeden Tag vor einer Folter. Andererseits: Nehmen Sie Griechenland. - Sie haben bestimmt noch Fragen und kommen gar nicht dazu, sie zu stellen...
Ich stelle sie gnadenlos danach.
Richling: ...oder Sie arbeiten sie ein. Also Griechenland: Die haben ein Minus von 300 Milliarden Schulden. Und wir zerfleddern diese Griechen in der Öffentlichkeit. Wir haben 2 000 Milliarden Schulden. Da kräht kein Hahn danach ...
Welche Partei würden Sie denn gerade mal so durchgehen lassen? Richling: Das ist interessanterweise nur von Wahl zu Wahl zu beantworten. Aber es ist immer gut für die Korrektur der anderen Parteien, wenn solche Sachen entstehen wie die Piratenpartei da in Berlin. Ja, die Grünen haben auch so angefangen. Solche Parteien wie die Piraten machen anderen Parteien bewusst: Euer Wählerpotential ist nicht stabil, und ihr könnt jederzeit wegbrechen.
Bei Ihrer intensiven Beschäftigung mit der Politik hätten Sie auch Analytiker werden können.
Richling: Ja.
Aber?
Richling: Nichts aber. Das Leben ergibt sich oft auch, verstehen Sie? Als ich 20 war, hätte das sein können. Ich habe ja Geschichte, Literatur und Philosophie studiert und Musikwissenschaft. Politischer Kabarettist, Satiriker zu werden, das ist eine Sache, die kann man nicht mit 20 entscheiden.
Eine Frage, die Ihnen sicher schon hundertmal gestellt wurde ...
Richling: Ach, ich tu so, als ob ich sie noch nie gehört habe.
Was würden Sie als erstes tun, wenn Sie Bundeskanzler würden?
Richling: Ha - das ist ja wahnsinnig schwierig. Ich würde erstmal ... ich würde mir ein anderes Bild hinhängen.
Das eigene?
Richling: Niemals. Und dann würde ich noch ein paar andere Sachen tun. Zum Beispiel gucken, ob die Mitarbeiter so durchseucht sind vom Vorgänger ... Man wird ja sonst fremdregiert von den eigenen Beamten. Also, Sie merken schon: Die Basis muss erstmal stimmen. Und dann kann man zu den großen Entscheidungen kommen. Da gäbe es eine Menge. Aber das ist eigentlich auch schon wieder ein Programm. Ehrlich: Bundeskanzler? Ich würde es gar nicht machen wollen. Die Kompromisse, die man da eingehen muss ... nee. Ich möchte kompromisslos sein.
Gesetzt den Fall, Sie entscheiden sich noch fürs Kanzleramt: Wer könnte Sie am besten parodieren?
Richling: Ha ... Frau Merkel!