MZ im Gespräch MZ im Gespräch: Sprachpfleger im Gartenreich
Wörlitz/MZ. - Unter dem Motto "Aufgeklärte Natur" veranstaltet die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtkunst von Mittwoch an bis Sonnabend ihre Frühjahrstagung in Wörlitz. Der Philologe Klaus Reichert führt als Präsident die Akademie, die die bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Geisteswissenschaftler zu vereinen sucht. Mit Reichert sprach unser Redakteur Christian Eger.
Herr Reichert, die Akademie zieht es auf die mitteldeutsche Wiese, mitten hinein ins Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Warum?
Klaus Reichert: Wörlitz ist für uns einer der schönsten Orte Deutschlands überhaupt. Und es ist ein Ort, der im 18. Jahrhundert eine bedeutende, vom Fürsten Franz ausgeführte Alternative aufgezeigt hat zur Machtpolitik Friedrichs des Großen auf der einen und zur Prunkpolitik der sächsischen Könige auf der anderen Seite. Aber wir sind nicht nur antiquarisch interessiert, sondern wir versuchen, von Wörlitz aus auf ökologische Debatten hinzuführen.
Worin bestand die Alternative des franzischen Gartenreiches?
Reichert: Darin, auf herrschaftliche Prunkentfaltung zu verzichten und statt dessen einen "Garten für Menschen" zu schaffen.
Kann vom historischen Wörlitz etwas Vorbildhaftes in unsere Gegenwart hineinwirken?
Reichert: Ja, wenn man begreift, wie der Fürst die Verbindung von Schönem, einer darstellenden Natur sozusagen, mit dem Nützlichen gestaltete. Hier sind auch landwirtschaftliche Projekte verwirklicht worden, nach englischem Muster. Was Franz geschaffen hat, war der größte Garten Mitteleuropas.
Nun kann es ja heute nicht darum gehen, überall große Gärten zu schaffen. Oder etwa doch?
Reichert: Es muss darum gehen, den Landschaftsschutz zu sichern, was mehr wäre als ein Gartenreich. Es geht darum, eine Ehrfurcht vor der Natur zum Ausdruck zu bringen. Etwas, das dieser heillosen Zerstörung der Natur, wie wir sie allenthalben empfinden, entgegen wirken könnte. Dieser Fürst hat genau das geschafft. Er hat sich ausgeklinkt aus der preußischen Politik, was nicht so leicht war.
Der Schriftsteller Andreas Maier veröffentlichte vor zwei Jahren das Naturkundebuch "Bullau". Das Feuilleton erprobt sich immer mehr als kleiner Tierfreund. Erleben wir eine neue Spielart der engagierten Literatur?
Reichert: Ich glaube schon. Die Katastrophen, die auf uns zukommen, beschleunigen sich derart, dass es notwendig ist, umzudenken.
Was können Autoren leisten, das mehr wäre als Appell-Literatur?
Reichert: Wenig. Aber wir setzen darauf, dass auch unsere Stimmen gehört werden. Wir wollen uns nicht in den Elfenbeinturm zurückziehen. Damit stehen wir in einer wichtigen deutschen Tradition, die mit dem Fürsten Franz zu verbinden wäre, aber auch mit Goethe, Jean Paul und den Romantikern.
Wie steht es um den Zustand der deutschen Sprache, nachdem die Rechtschreibreform kein öffentliches politisches Thema mehr ist?
Reichert: Wir sind als Akademie daran interessiert, dass auch die letzten Torheiten der Rechtschreibreform ausgeglichen werden. Daran arbeiten wir hinter den Kulissen. Wir sind aber keine Katastrophengesellschaft, die ruft: Hilfe, die deutsche Sprache geht unter! Durch die Verenglischung oder das Türkdeutsch, das heute hineinkommt. Da sind wir gelassen. Die Sprache ist ein sehr lebendiges und widerstandsfähiges Instrument, das zu unterscheiden ist von dem zum Teil katastrophalen Sprachgebrauch. Die Sprache wird die Dinge, die sie gebrauchen kann, aufnehmen oder sie wird sie wieder abstoßen. Eine Sprache, die sich abschottet, die das Deutsche nur behüten will, wird irgendwann steril und stirbt ab.
Der Autor Bastian Sick füllt mit seinem Programm "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" ganze Sporthallen. Was ist da los?
Reichert: Die Menschen sind aufgewacht oder sensibilisiert für die Probleme der Sprache. Ob das auf diese so holzhammerhafte und sprachwissenschaftlich unzulängliche Weise richtig ist, glaube ich nicht. Wir müssen als Akademie versuchen, differenzierter und in Richtung einer Sprachkritik unseren Beitrag zu leisten.
In Köthen, unweit von Wörlitz, hatte von 1617 an die Fruchtbringende Gesellschaft ihren Sitz. Im Januar dieses Jahres erfolgte deren Neugründung. Ein Konkurrenzunternehmen?
Reichert: Nein. Das sind Leute, die das Deutsche unter eine Glasglocke stellen wollen. Die haben wenig Ahnung von der Lebendigkeit einer Sprache, die für sich selber sorgt. Andererseits muss man sagen, dass es nicht ausreicht, von den Einwanderern zu verlangen, anständiges Deutsch zu lernen. Wir müssen es selber von unseren deutschen Kindern und Schülern verlangen. Das ist eine Aufgabe, die sich an die gesamte Gesellschaft richtet. Ich bin so altmodisch zu sagen: Man muss wieder von den Kindern verlangen, dass sie Gedichte auswendig lernen.
Öffentliche Termine in Wörlitz: Mittwoch 20 Uhr, Hotel «Zum Stein», Vortrag von Gustav Seibt «Der Fürst im Gartenreich», Podium «Zivilisierte Natur und ökologische Reform». Freitag, 20.30 Uhr, Felseninsel «Stein»: Martin Mosebach liest Jean Paul.