Mythos Sachsen-Anhalt Mythos Sachsen-Anhalt: Wie ein Fotograf die Zeit unserer Ahnen wieder auferstehen lässt

Halle (Saale) - Unsere Vorfahren bezeichneten als Hünengräber und Hinkelsteine, was die moderne Archäologie Megalith- oder Großsteingräber und Menhire nennt. Die schönsten dieser prähistorischen Grabanlagen und aufgerichteten Steine, die in Sachsen-Anhalt zu finden sind, hat Ingo Panse jetzt in einem Bildband vereint.
Der passionierte Lichtbildner beginnt seine Tätigkeit aber erst, wenn andere Fotografen ihre Kamera zur Seite gelegt haben: Panse macht die Nacht zum Tag, indem er mittels starker Taschenlampen und anderer Leuchtmittel sowie Langzeitbelichtungen die vorgeschichtlichen Relikte ins rechte Licht rückt.
„Lightpainting“ (Lichtmalerei) heißt dieses fotografische Verfahren, das Artefakten wie Steingräbern und Menhiren eine atemberaubende, weil mythische Aura verleiht. „Orte und Objekte wie diese, die man am Tag oft übersieht, gewinnen, wenn man sie bei Nacht fotografiert, an Magie“, erklärt Panse den Reiz seines Hobbys.
Dass der in Könnern lebende Fotograf das richtige Gespür hat, Landschaften und Artefakte durch Beleuchtung auf der Bühne der Nacht eindrucksvoll zu inszenieren, hat er bereits in drei Bildbänden über den Harz gezeigt, der wie kaum eine andere deutsche Region mit sagenhaften Geschichten verbunden ist. Seine Fotos von Großsteingräbern und Menhiren in Sachsen-Anhalt stehen, wie sich zeigt, denen aus dem Harz in nichts nach.
Ein Goliath von 20 Tonnen
Da ist etwa die Aufnahme vom Großsteingrab Stöckheim (Altmarkkreis Salzwedel), das im Volksmund auch „Goliathgrab“ genannt wird. Entscheidend für die Namensgebung der Anlage dürfte wohl nicht zuletzt der größte von vier Decksteinen gewesen sein, der es auf über 20 Tonnen Gewicht bringt. Auf dem Foto wirkt die aus der Grabkammer her rötlich und aus der Perspektive des Betrachters dezent naturfarben beleuchtete Szene wie ein Bühnenbild zu Richard Wagners Opern-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“.
Geradezu ein Eldorado für Megalith-Bauten ist der Haldenslebener Forst (Landkreis Börde), wo von über 140 überlieferten und bis ins 19. Jahrhundert sichtbaren Monumenten heute noch 82 Großsteingräber mehr oder weniger erkennbar sind. Unter den dort von Panse fotografierten Objekten ist auch die „Teufelsküche“, die, wie die Sage wissen will, von den Altvorderen so bezeichnet wurde, weil die gute Christen waren und „solche alten heidnischen Altäre mit Abscheu zu betrachten anfingen“.
Mythischen Wächtern gleich flankieren zwei Bäume das Großsteingrab Grimschleben 2 am „Heringsberg“ bei Nienburg (Saale), dessen Kammer der Fotograf rötlich ausgeleuchtet hat, was, beabsichtigt oder nicht, farblich sehr schön mit dem Widerschein städtischer Beleuchtung am Nachthimmel korrespondiert.
Ein Ort, wo sich sowohl ein Großsteingrab als auch ein Menhir befinden, in deren Nähe sich überdies noch ein mittelalterlicher Wehrturm erhebt, ist Langeneichstädt im Geiseltal. Das Besondere hier ist, dass das Steinkammergrab erst im Jahr 1987 entdeckt worden ist, und zwar zufällig beim Pflügen.
Um die viele Tausend Jahre alten Zeugnisse zwischen Altmarkkreis Salzwedel und Burgenlandkreis wissenschaftlich richtig einordnen zu können, hat der Fotograf Barbara Fritsch vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt als Autorin der Begleittexte gewinnen können. In diesen werden auch Sagen mitgeteilt, die zu diesem Großsteingrab und jenem Menhiren überliefert sind.
„Von den über 450 bekannten und vor allem im 19. Jahrhundert beschriebenen Großsteingräbern sind noch 150 - zum Teil nur noch in kümmerlichen Resten - vorhanden“, weiß die Archäologin zu berichten. Auch, dass vor allem die Agrarreformen im frühen 19. Jahrhunderts zur Zerstörung vieler Grab-Anlagen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts geführt hätten.
Gedenk- oder Ahnenstein
Gräber, die vor allem nach 3600 und bis 3100 vor Christus, zur Zeit der sogenannten Trichterbecherkultur, errichtet wurden, also innerhalb von 15 Generationen. Bei einigen der Großsteingräbern in unserem Bundesland sind Nachbestattungen bis in die Eisenzeit um 500 vor Christus nachweisbar, so Fritsch.
Während der Zweck von Großsteingräbern eindeutig ist, ist die Frage, welche Bedeutung Menhire (bretonisch für „langer Stein“) hatten, nicht so leicht zu beantworten. „Nach dem heutigen Stand der Forschung besaßen sie nicht beziehungsweise nur gelegentlich den Charakter eines Grabsteines (…), dennoch sind sie wohl in einen kultischen Kontext (vielleicht als Gedenkstein oder Ahnenstein) zu stellen“, erklärt Fritsch im Buch.
Bei Betrachtung der Menhire und Großsteingräber stellt sich der Betrachter dieselbe Frage, die auch den Fotografen umtreibt: „Immer wenn ich solche Megalithbauten besuche (…), frage ich mich, wie man vor über 5 000 Jahren diese Brocken von Steinen mit nur einfachsten Mitteln bewegen konnte.“
In Ingo Panses Aufnahmen wird nicht nur die Nacht zum Tag, sondern auch der Raum zur Zeit, die uns zumindest eine Ahnung von der so fernen Welt vor fünf Jahrtausenden vermittelt.
››Ingo Panse/Barbara Fritsch: Die Spuren unserer Vorfahren - Megalithgräber und Menhire in Sachsen-Anhalt, Mitteldeutscher Verlag, 125 Seiten, 20 Euro
(mz)

