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Mythos «Glocke» Mythos «Glocke»: Schiller-Ballade als Werbeträger der Glockengießer

Von Katrin Zeiß 26.01.2005, 06:53

Apolda/dpa. - Das seit 1952 bestehende Museum widmet sich der Kulturgeschichtedes Glockengusses. Die Ausstellung, die vom 22. Mai bis 10. Junigezeigt werden soll, ist einer der Beiträge Thüringens zumSchillerjahr. «Viele Passagen sind zu regelrechten Lebensweisheitengeworden, die noch heute oft zitiert werden», erklärt Lothar Ehrlichvon der Stiftung Weimarer Klassik die bis heute anhaltendePopularität der Ballade. Dabei sei sie wegen ihres konservativenWelt- und Frauenbildes heute «nicht mehr zeitgemäß». In derLiteraturwissenschaft nähmen Schillers Dramen einen weit höherenStellenwert ein.

Die Arbeit an der 424 Verse langen Ballade begann Schiller 1797 inseinem Jenaer Gartenhaus. Erst zwei Jahre später war sie fertig, 1800erschien sie im «Musenalmanach» des Verlegers Johann Friedrich Cotta.Verse wie «Drum prüfe, wer sich ewig bindet», «Wenn gute Reden siebegleiten, dann fließt die Arbeit munter fort», «Wo rohe Kräftesinnlos walten» oder «Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew'gerBund zu flechten» lernten ganze Schülergenerationen auswendig. Baldmachten sich die Glockengießer das Gedicht zu Nutze.

In Stuttgart verbreitete eine Gießerei, Schiller habe hier beiStudien seinen Spazierstock vergessen. 1782 soll der Dichter aufseiner Flucht vor dem württembergischen Herzog Carl Eugen Station ineiner Gießerei im pfälzischen Frankenthal Station gemacht haben. Aucheine Gießerei in Rudolstadt-Volkstedt will dem Dichter die Anregungfür seine Ballade geliefert haben. In Rudolstadt lebte der Dichtervon Mai bis November 1788 und lernte seine Frau Charlotte vonLengefeld kennen. Seine Schwägerin Caroline von Wolzogen (1763-1847)berichtete in ihrer Schiller-Biografie von Spaziergängen vor derGießerei. Auch in Laucha an der Unstrut kursierte die Legende,Schiller habe hier den Glockenguss studiert.

Besonders fantasievoll ging Apolda mit Schiller um. In der Stadtnahe Weimar und Jena wurden mehr als 250 Jahre lang Glocken gegossen,darunter so berühmte wie die für den Kölner Dom. 1855 berichtete eineZeitung vom angeblichen Besuch des Dichters in der Gießerei «GebrüderUlrich». Zwei Generationen später war daraus eine ÜbernachtungSchillers beim Glockengießer persönlich geworden. «Damit hat dieGießerei ganz offen geworben», zeigt Heike Schlichting auf eineWerbeanzeige aus dem Museumsfundus. Tatsächlich war Schiller nie inApolda.

Bis heute ist umstritten, ob der Dichter jemals eineGießerwerkstatt von innen gesehen hat. «Tatsache ist, dass er inseiner Jugendzeit in Ludwigsburg in der Nachbarschaft einerGlockengießerei wohnte», erzählt Schlichting. Schiller selbst gab inseinem Briefwechsel mit Goethe Auskunft darüber, wo er sichhauptsächlich die Kenntnisse über den Glockenguss holte: aus der«Oeconomischen Encyclopädie» von Johann Georg Krünitz, einem damalssehr bekannten Lexikon.