Kunst statt Krieg Syrischer Musiker vertont Geschichte seiner Flucht
Hesham Hamra flüchtet 2016 nach Deutschland und studiert in Mannheim Komposition. Heute schreibt er Werke für die Staatsphilharmonie in Ludwigshafen. Manchmal, sagt er, kann er sein Glück kaum fassen.
Ludwigshafen - Manchmal kommt ihm der blutige Bürgerkrieg in seinem Geburtsland Syrien noch in den Sinn, wenn Hesham Hamra die Saiten seiner birnenförmigen Oud zupft. „Ab und zu schließe ich die Augen und gehe im Kopf von unserem Haus in Damaskus zu der Wohnung von Freunden“, erzählt der Musiker. „Dann rieche ich den Jasminduft auf den Straßen.“ Jasmin, so heißt auch ein virtuoses Stück, das Hamra komponiert hat - für das Ensemble Colourage aus Ludwigshafen.
Colourage ist ein poetisches Wortspiel aus Color (Farbe), Courage (Mut) und Collage (Mischung). Es geht um das Zusammenführen von Musik aus Orient und Okzident. Das Ensemble setzt sich aus acht Musikern zusammen und wurde vor vier Jahren von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz sowie der Orientalischen Musikakademie Mannheim (OMM) und der Popakademie Mannheim gegründet. Einige Musiker besitzen türkische oder syrische Wurzeln - wie Hamra.
Studium nach Straßenmusik
An diesem bewölkten Tag probt das Ensemble Colourage bei der Staatsphilharmonie in Ludwigshafen. Die markanten Töne der Oud sind deutlich zu vernehmen. Als „Mutter der Zupfinstrumente“ gilt die arabische Laute für manche. „Mein Vater ist auch Musiker und hatte oft Schüler bei uns zu Hause“, sagt Hamra. „Ich war immer dabei und habe so das Oud-Spielen früh gelernt. Ich wollte schon immer Musiker sein.“
Der Kriegsausbruch in Syrien kam dazwischen. „Ich bin Ende 2011 nach Dubai umgezogen und habe dort als Musiker gearbeitet“, sagt Hamra. „Aber ich wollte mehr. Ich wollte ein neues Leben. So bin ich 2016 in die Türkei geflogen, von dort aus mit dem Boot nach Griechenland gefahren und dann sozusagen zu Fuß nach Deutschland gereist. Nach 25 Tagen war ich in Passau.“ War es gefährlich? „Ja. Aber man lebt nur einmal.“
Nach seiner Ankunft in Deutschland spielt Hamra in Mannheim ein Konzert mit einer geliehenen Oud und wird angesprochen: ob er nicht die Popakademie besuchen möchte? Er macht dort schließlich mit Hilfe eines Stipendiums den Bachelor of Arts im Fach Weltmusik und studiert an der Musikhochschule Komposition. Parallel lernt er Deutsch.
Sprachenlernen mit „Der kleine Nick“
„Ich habe am ersten Tag in Deutschland gemerkt, dass ich die Sprache brauche. Es ist nicht leicht. Ein wenig hilft mir das Fernsehen - etwa Kinderserien wie „Der kleine Nick““, sagt der 32-Jährige und lacht. Sein Deutsch ist bemerkenswert. Manchmal, räumt Hamra ein, könne er sein Glück kaum fassen. Er sei mit Nichts gekommen und schreibe heute Stücke für ein Orchester.
Nicht nur in Zeiten, in denen Deutschland über Fachkräftemangel und Migration diskutiere, sei dies eine bemerkenswerte Geschichte, sagt André Uelner, Projektleiter von Colourage. „Hesham arbeitet unglaublich hart. Sogar sein Professor Sidney Corbett an der Musikhochschule Mannheim sagt, dass er nicht gedacht hätte, dass jemand in so kurzer Zeit so viel umsetzen kann.“
Für Uelner geht es bei Colourage, dessen Gründung von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde, in erster Linie um Musik. „Wie wird Musik in anderen Gegenden der Welt gedacht? Wenn ich mich damit beschäftige, geht mir ein Licht auf, und es öffnen sich Räume.“ Alle im Ensemble hätten von Beginn an Neugier mitgebracht. Es gehe auch um Toleranz. „Wir haben auf struktureller Ebene versucht, Augenhöhe herzustellen“, sagt er.
„Chance ergriffen und genutzt“
Hamra besitzt mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Lernen sei längst nicht beendet, sagt er. „Wieso macht man Musik? Wieso geht man auf die Bühne? Warum kommen die Menschen zu einem Konzert? Welche Verbindung gibt es? Das interessiert mich alles. Auch Dinge hinter den Kulissen: Wie werden Entscheidungen in der Organisation getroffen? Welche Art von Verträgen gibt es? Mit so etwas beschäftige ich mich.“
Und mit Musik. Neben „Jasmin“ hat Hamra das Stück „Journey“ (Reise) komponiert - die Geschichte seiner Flucht. „Hesham kam mit einem Handy und einer Kreditkarte über die Balkanroute nach Deutschland“, sagt Uelner. „Unterwegs summte er eine Melodie in sein Handy und speicherte sie.“ Die Melodie sei heute das Leitmotiv der Komposition „Journey“, die im Januar vom Orchester der Deutschen Staatsphilharmonie uraufgeführt wurde.
„Eigentlich ist das zu kitschig, um wahr zu sein“, sagt Uelner und lacht. „Aber im Ernst: An dieser Erfolgsgeschichte haben viele Anteil - vor allem auch Beat Fehlmann.“ Der Intendant der Staatsphilharmonie habe kulturelle Teilhabe mit Zuversicht und Vertrauen zum Leitungsthema gemacht. „Hesham hat seine Chance ergriffen und genutzt - durch Talent, Überzeugung und nicht zuletzt durch harte Arbeit.“