Musik Musik: Mönchsgesang vor flackernden Feuern
Halle/MZ. - Kein donnernder Applaus, sondern zuckende Blitze. Nur eine Viertelstunde fehlte der Berliner Mittelalterband Corvus Corax, und sie hätte die Premiere ihres Großwerkes "Cantus Buranus" in Halle unter dunkel dräuendem Himmel komplett über die Bühne gebracht. Dann aber mischten sich höhere Mächte ein. Die acht Rockmusiker, das Babelsberger Filmorchester und der 60-köpfige Chor flüchteten vor den Wassermassen, auch das Publikum nahm eilig Reißaus.
Eilig, aber keineswegs enttäuscht. Denn bis zum plötzlichen Ende haben die selbst ernannten "Könige der Spielleute" die Massen in ihren Bann geschlagen. "Cantus Buranus", vor drei Jahren aus der Verlegenheit geboren, Orffs "Carmina Burana" spielen zu wollen, aber nicht zu dürfen, hat in der zweiten Auflage noch an Wucht und Dramatik gewonnen. Angeführt von Castus Rabensang und Wim Olere, die Corvus Corax kurz vor dem Ende der DDR gründeten, kombiniert die Gruppe auch in ihrer zweiten Bearbeitung von Texten aus der berühmten Vers-Sammlung Rock-Rhythmik und Opern-Pathos.
Musiziert wird mit Dudelsäcken, Drehleiern und Schalmeien, alles ist bunt und in den Schmelz der Streicher getaucht. Der Chor trägt Mönchskutten, die Band Brokatmäntel. Gaukler auf Stelzen wanken vorüber, Feuer flackern und Pfauenfeder-Fächer werden geschwungen. Immer ist der Sound raumgreifend, immer ist die größte Geste gerade groß genug.
So etwas kann schief gehen, künstlerisch und finanziell. Das Mammutwerk "Cantus Buranus" ist ebenso anspruchsvoll wie aufwendig, ebenso edel wie teuer. Als Corvus Corax, hervorgegangen aus einer über Volksfeste ziehenden Folk-Truppe namens Tippelklimper, seinerzeit ihre erste Eigenbearbeitung der mittelalterlichen Texte ankündigten, die 1803 im Kloster Benediktbeuern gefunden worden waren, ernteten sie denn auch Skepsis und Hohn. Das ist heute anders. "Cantus Buranus II" hat die Gruppe, die bis dahin schon überaus erfolgreich in der Mittelalter- und Gothikszene war und es mit ihrer sehr eigensinnigen Musik bis in die Hitparaden und den "Rockpalast" schaffte, endgültig herauskatapultiert aus dem Geschmacksghetto in Schwarz.
Die Vergangenheit, recht prächtig vertont und von Ingeborg Schöpf (Staatsoperette Dresden) und Tenor Klaus Lothar Peters gesungen, kommt auch bei einem Publikum an, das sich gewöhnlich nicht in das Konzert einer Dudelsack-Rockband verirrt. Hier, im Land, wo die Tröten flöten und die Pauke jeden Donnern übertönt, können sich alle zu Hause fühlen: Gruftis mit Teufelstattoo wiegen sich in Klangwellen, Damen in Stöckelschuhen träumen mit geschlossenen Augen. "Neu, alt und weltumspannend" nennen Corvus Corax ihre Musik. Das ist nicht einmal übertrieben.
Corvus Corax live: morgen Abend in Wittenberg,
14. Juni in Merseburg,
22. und 23. August Wittenberg