Musik Musik: Bretthart aus Beesenstedt
BEESENSTEDT/MZ. - Rammstein, Deutschlands erfolgreichsteRockband, hatte die abgelegene Immobilie zumProberaum für die Arbeit an ihrem sechstenAlbum umfunktioniert. "Matratzen rein, damites keiner hört", lächelt Schlossbesitzer ArminMey, der schon lange mit den Bandmitgliedernbefreundet ist, "und selbst beim Bäcker hatsie keiner erkannt."
Nur auf dem neuen Werk sind Sänger Till Lindemann,die Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers,Bassist Oliver Riedel, Schlagzeuger ChristophSchneider und Keyboarder Christian "Flake"Lorenz nun doch wieder die teutonischen Testosteron-Titanen."Liebe ist für alle da" heißt die Sammlungvon wie immer elf neuen Stücken, gebasteltaus Selbstzitaten und Augenzwinkern.
Rammstein entwickeln sich mit der Geschwindigkeiteines Gletschers weiter. Der Markenkern ausDonner-Rock und kantigem Gesang bleibt, dazukommen hier orchestrale Arrangements, elektronischeBeats, gelegentliche Akustikgitarren und einTill Lindemann, der unverstellter singt alsje zuvor. Das "Rammlied" gibt die Richtungvor: Tobende Trommeln, Violinen, Gewittergitarren.Lindemann gibt den gregorianischen Chorsänger.Es dröhnt so schön und mit "Ich tu dir weh"gibt es auch keine Missverständnisse mehr."Bei dir hab ich die Wahl der Qual/ Stacheldrahtim Harnkanal", fantasiert sich der Mann mitdem rollenden R in die Parallelwelt von Schmerzund Sado-Maso-Verzückung. Von wegen Liebe!Auch "Waidmanns Heil", angemacht mit echtenWaldhornbläsern, geht lieber ein "Kahlwildjagen" als mit dem Mainstream kuscheln.
Anzunehmen, dass das Sextett mit Wurzelnim DDR-Untergrund sehr großen Spaß hat, wennTexter Till Lindemann seine bizarren Poemeauspackt. Widmete der frühere Leistungsschwimmersich zuletzt bereits Themen wie sexuellemMissbrauch oder Kannibalismus mit der Sensibilitäteines Schrubbers, nimmt er diesmal das Dramaum den Inzestvater Fritzl als Steilvorlagefür ein Lied. "Wiener Blut" beginnt als Walzeram Spielzeugkeyboard: "Komm mit mir komm aufmein Schloss/ da wartet Spaß im Tiefgeschoss".Anschließend brüllen die Gitarren wie Alarmsirenen,Lindemann orgelt "Willkommen in der Dunkelheit".
Schwer zu sagen, was hier noch provokativesPuppenspiel und was schon Persiflage ist.Als Promotion für "Pussy", die erste Single,drehten sie einen Porno, den kein Kanal jesenden wird - aber senden muss ihn ja auchniemand. Näher an großer, origineller Pop-Kunstwar lange niemand. "Dieses Video ist ein Meilenstein",findet Paul Landers, "wir haben ein Videogemacht, das man nicht gucken kann". Überumstrittene Zeilen wie "Blitzkrieg mit demFleischgewehr" könne er sich im übrigen "beömmeln".
Das Geheimnis ist, dass Rammstein daraus nieein Geheimnis gemacht haben. Das alles istnur so ernst gemeint wie die Masken von Kissoder das Kunstblut von Tarrantino. RichtigSpaß aber machen Stücke wie die Finanzkrisen-Moritat"Mehr" und die Brecht-Adaption "Haifisch",wenn der Hörer sie ohne solche Hintergedankenkonsumiert: Dröhnende Hymnen, die das Dunklebeschwören wie ein Roman von Stephen Kingoder ein Diamantenschädel von Damien Hirst.