Museum der Bildenden Künste Leipzig Museum der Bildenden Künste Leipzig: Bilder einer Ausstellung erzählen vom Schicksal ihrer Sammlung
LEIPZIG/MZ. - Als Schlussbild der Ausstellung "Kopf oder Zahl", mit der das Museum der Bildenden Künste Leipzig jetzt sein 150-jähriges Bestehen feiert, bündelt Ulrich Kneises Fotografie zugleich die Dramaturgie der Schau: Das Erhabene steht hier neben dem Alltäglichen, die Geschichte der Sammlung reflektiert ihren Standort.
Gut betuchter Stifter
Begonnen hatte alles mit dem Tod des Tuchhändlers Adolf Heinrich Schletter, der in seinem Testament die Errichtung eines eigenen Museums für die städtische Kunstsammlung verfügte. Am 18. Dezember 1858 - exakt einen Tag vor Ablauf der Frist - wurde der Neubau am Augustusplatz seiner Bestimmung übergeben - und vermutlich auch August Barbes posthumes Porträt des Stifters gezeigt. Nun steht diese routinierte Darstellung eines buchstäblich gut betuchten Mäzens in unmittelbarer Nähe zum Konterfei des Sammlers Alexander Maximilian Speck von Sternburg, dessen Familie bis heute in die Geschicke des Leipziger Bildermuseums eingreift. Auch andere Privatsammler wie Julius Otto Gottschald oder Alfred Thieme verdienten sich ihren Platz in der Schau durch Großzügigkeit. Doch eine reine Nabelschau wird hier nicht geboten.
Vielmehr beweist das Leipziger Museum ausdrücklich seine Verhaftung mit und in der Zeit: Bereits dem Jahr 1859 ist eine Fotografie der feministischen Autorin Louise Otto zugeordnet, die unter anderem für "Das Recht der Frauen auf Erwerb" Partei ergriff. Fortan begegnet man immer wieder Leitfiguren einer demokratischen Bewegung, bei der sich das Präfix "sozial-" zunehmend in einen Ismus verwandelt: August Bebel, Karl Liebknecht, Walter Ulbricht ... Dass allen drei Ikonen Zeugnisse aus der Lebenswelt der Politiker - eine Türklinke, ein Gehrock, ein Küchenstuhl - zugeordnet werden, erweitert die Galerie zum "sentimentalen Museum".
Denn diese Konfrontation hat Methode: Bei Max Beckmann findet sich ein Dinner-Jackett, bei Hartwig Ebersbach seine Sammlung von Kasperpuppen, bei Neo Rauch ein Familienalbum auf farbverkrustetem Pult - und beim Leipziger Richard Wagner ein Taktstock-Splitter, der dem messianischen Kult auf dem Bayreuther Hügel durchaus entspricht. Natürlich sind es vor allem Künstler, die hier Tradition stiften und die Deutungshoheit über die Geschichte reklamieren. Von Julius Schnorr von Carolsfeld und Max Klinger reicht der Zeitstrahl über Mathieu Molitor und Max Schwimmer bis zu den Altmeistern der Leipziger Schule - Tübke, Mattheuer, Heisig - und darüber hinaus. Arno Rink und Volker Stelzmann kommen ebenso zu ihrem Recht wie die Fotografen Günter Rössler und Evelyn Richter. Und in ihrer direkten Konfrontation werden die Strategien des Mitlaufens, Entkommens oder Widerstehens um so deutlicher.
Gattin zwischen Genossen
So findet sich Ende der 50er Jahre zwischen kraftvollen Porträts von Genossen und Baggerführern die altmeisterliche Zeichnung einer jungen, zerbrechlichen Frau - Werner Tübkes privates Porträt seiner ersten Gattin, das seinen wenig später entstandenen, bei allen kunsthistorischen Anspielungen erschreckend statuarischen Auftrags-Porträts einer "Sozialistischen Jugendbrigade" und des Politfunktionärs Hans Vogelsang widerspricht. Kompromissloser zeigt sich Stelzmann, der neben seinem desillusionierten Selbstbildnis auch das Gemälde "Die Band" beisteuert - eine auf engstem Raum klaustrophobisch zusammengepferchte Versammlung der Punk-Musiker von "Wutanfall", deren Modell-Sessions im Atelier als Foto aus den Stasi-Akten dokumentiert sind.
So spiegelt die Leipziger Sammlung, die aus gegebenem Anlass vor allem durch Exponate aus dem Stadtgeschichtlichen Museum ergänzt wurde, die gesellschaftlichen Katastrophen und Aufbrüche vor allem des 20. Jahrhunderts im Einzelfall: Alfred Frank, der seine Bilder mit einem roten Stern zeichnete, ahnte seine Hinrichtung durch die Nationalsozialisten bereits 1922 im "Selbstporträt als Toter" voraus. Ein Fotograf des US-Signal Corps fotografierte 1945 den Leichnam des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Walter Kurt Dönicke, der sich beim Heranrücken der Alliierten das Leben nahm. Und der Fotograf Walter Gerhard Heyde bewahrte in einem Koffer die traurigen Reste seiner Porzellansammlung auf, die in der Bombennacht 1943 zerstört wurde.
Fortgang der Geschichte
Dass die Sammlung ihre Relevanz aber auch nach dem Untergang der DDR bewahrt, beweisen nicht allein die Stars der Neuen Leipziger Schule. Schon viel eher, im Jahr 1876, begegnet man mit Heinrich Brockhaus einem Protagonisten der lokalen Verleger-Tradition. Als die Nachricht von der Schließung der Leipziger Brockhaus-Niederlassung durch die Medien ging, war die Ausstellung schon aufgebaut. Die Geschichte geht weiter ...
Ausstellung bis zum 8. Februar, Di und Do bis So 10-18, Mi 12-20 Uhr