Museen Museen: Treibgut aus Hamburgs Unterwelt im Sielmuseum

Hamburg/dpa. - Fast alles haben die etwa 500 Kanalarbeiter schon aus der Kloakegefischt: Büstenhalter jeder Körbchengröße, Strumpfhalter inschwarzer Spitze, moderne String-Tangas und Hüfthalter vergangenerModeepochen. Rund 20 Gebisse liegen nach einem unappetitlichen Umwegebenso im Museumsregal wie zahllose Brillen, Schuhe, Plastikpuppenund Badeentchen. Rasierpinsel und Zahnbürsten sind ebenso zu«anrüchigen» Ausstellungsstücken geworden wie Werkzeuge,Straßenschilder und Autonummern. Neben vielen leeren Geldbörsen istauch eine bunte Dokumentensammlung zu sehen: vom Personalausweis überden Blutspende-Nachweis und Kreditkarten bis zur Kundenkarte einesChina-Restaurants und der Teilnahmebescheinigung an der Ski-WM 1991im österreichischen Saalbach-Hinterglemm.
Der häufigste Fund bringt es allerdings nicht zur Museumsreife.«Vor allem Damenbinden machen uns große Probleme», klagt Wierecky.Große Mengen der Hygieneartikel werden täglich mit großen Rechen ausdem Abwasser gekämmt. Auch die Gedankenlosigkeit mancher Männer machtÄrger: Ein durchs Klo gespültes Kondom könne schon die Funktion einerder riesigen Pumpen beeinträchtigen. Nicht alle vergessen abersofort, was achtlos durchs Becken ging. So bat eine 83-jährige Witwedie «sehr geehrten Herren von der Stadtentwässerung» ihr bei derSuche nach dem ins Klo gefallenen goldenen Ehering zu helfen. Manmusste sie enttäuschen: Auf Gold sind die Männer im Abwasser noch niegestoßen.
Durch ein insgesamt 5400 Kilometer langes System von Sielen - diegrößten mit einen Durchmesser von vier Metern - wird dieHinterlassenschaft der stolzen Hanseaten zu den Klärwerken geleitet.«Die tägliche Abwassermenge Hamburgs entspricht mit 400 000Kubikmetern dem Inhalt der Binnenalster», erklärt Wierecky. Jährlichkommen 150 Millionen Kubikmeter zusammen. Ein Drittel davon wirddurch das Pumpwerk Hafenstraße 24 Meter tief unter der Elbe zumKlärwerk Köhlbrandhöft im Hafen geleitet. In drei Werken der HSEwerden täglich 3560 Tonnen Klärschlamm gereinigt. Nach dem Trocknenwird er verbrannt und hinterlässt noch 49 Tonnen schadstoffreicheAsche, 5 Tonnen Gips und 800 Kilogramm Schwermetallschlamm.
Es begann mit einer Katastrophe: 1842 legte der große Brand weiteTeile des alten Hamburg in Schutt und Asche. Neuer, schöner undgrößer sollte die Hansestadt wieder auferstehen - unter maßgeblicherVerantwortung von William Lindley. Der englische Ingenieur sorgtenicht nur für eine moderne Wasserversorgung der neuen Straßen,sondern schuf auch die Anfänge des ersten Kanalnetzes auf demeuropäischen Festland.
Schnell wurden die unterirdischen Klinkersiele zur Attraktion: Woheute Touristen mit Reeperbahn und Hafengeburtstag, Michel undMusicals angelockt werden, waren gegen Ende des 19. JahrhundertsKanalfahrten «in» - bis in höchste Kreise. 1877 wurde KronprinzFriedrich von Preußen durch das Geest-Stammsiel unterhalb von St.Pauli gerudert. «Der Kronprinz wunderte sich wiederholt über dieverhältnismäßige Reinheit der Luft, welche die Nase kaum beleidigte»,hieß es damals in der Zeitschrift «Gartenlaube». 1904 wollte auchKaiser Wilhelm II. in den Sielen fahren. Um Seiner Majestät einenbequemen Zugang zur hanseatischen Unterwelt zu ermöglichen, wurdedafür eigens ein Einlasshäuschen gebaut, das noch heute am Baumwallzu sehen ist.