Mitteldeutsches Landestheater Mitteldeutsches Landestheater: Letztes Lächeln vor fallendem Vorhang
Wittenberg/MZ. - Was müssen das für Zeiten gewesen sein, in denen die gefallene Pluderhose unterm Rock einer Beamtengattin eine ganze Kleinbürgerwelt erschüttern konnte! Im Mitteldeutschen Landestheater Wittenberg bekam man zum Anfang der Premiere von Carl Sternheims Komödie "Die Hose" einen Einblick hinter die blumentopfgeschmückte Fassade, wo Theobald Maske seiner Gattin Luise gerade mit dem Ausgehstock den Allerwertesten versohlt.
Welche Schande über ihn kam! Beinahe hätte es auch noch der Monarch gesehen. Doch als Mitwisser bestätigen sich nur zwei Herren, die sich prompt um Logis im Hause Maske bewerben.
Es geht um eine Hose - und um mehr. Das gefallene Wäschestück weckt in Scarron und Mandelstam Phantasien, die sie als Mieter gern stillen würden. Und Maske fällt gar nichts auf? Nein. Ihm geht es um die zu erwartenden Taler. So scheint es zumindest. Das komödiantische Hin und Her beginnt.
Klaus Helfricht hat sich für seine Inszenierung von Roland Wehner einen kleinbürgerlichen Salon mit vielen Türen bauen lassen, durch die es rein und raus geht. Keiner glaubt, entdeckt werden zu können. Und Theobald Maske sitzt ahnungslos am Tisch bei Hammel, grünen Bohnen und Himbeeren mit Sahne. Ihm fehlt in Wittenberg so ganz das eigentlich erwartete preußisch Feiste, das zackige Gehabe des Alleinherrschers im Zweipersonenhaushalt. Hier ist Theobald ein Technokrat, ein Rechner, der erst ganz am Ende des Stückes liebestoll wird und dabei auch noch irregeht.
Helfricht hat seine Figuren gründlich choreografiert. Penibel ausgedachte Bewegungsabläufe machen die Situationskomik mitunter zu einem Körpertheater. Und das ist gut. Hier wollen scheinbar alle irgendwann sowieso nur das Eine. Doch darin liegt eben auch die Täuschung. Scarron will offenbar nur künstlerische Inspiration von Frau Maske, die ihrerseits bereit ist, sich ihm ganz hinzugeben. Darin folgt sie der voyeuristischen Nachbarin Deuter, die ihr den Mut zum Abenteuer mit dem ausgeliehenen Sahneschälchen erst aufschwatzt.
Nicht immer stimmt das Tempo in der Wittenberger Inszenierung. Im ersten Teil klemmt es streckenweise ganz gehörig. Doch nach der Pause laufen die Irrungen und Wirrungen wie am Schnürchen. Die von der Nachbarin herbeigeschaffte neue Spitzenhose weckt auch in Theobald Maske bislang verdrängte Gier. Die Deuter lässt's nicht ungern mit sich geschehen . . .
In Wittenberg wird "Die Hose" nicht psychologisch und auch nicht ideologiekritisch gedeutet. Klaus Helfricht und sein Ensemble nehmen die Komödie, wie sie ist. Dass am Ende noch ein vegetarischer Mieter mit auffallend zackigem Ton und rollendem "R" sich um das gerade freigewordene Zimmerchen bemüht, ist die einzige Beigabe, die man dem 1911 uraufgeführten Stück mit auf den Weg gibt. Doch das boulevardeske Salontheater deckt die Andeutung so schnell zu, wie sie auftaucht. Im Kleinbürgersumpf wächst Nazimief heran. Die Nachricht ist nicht neu.
Doch in Wittenberg wird mit der Komödie "Die Hose" noch etwas anderes überspielt. Die Bitterkeit nämlich, die mit der Schließung der Sparte Schauspiel einhergeht. Keine große Tragödie, kein Scheitern des Künstlers an der Welt wird zum endgültigen Abschied der Schauspieler aus Wittenberg gegeben. Eine Komödie. Sonst nichts.
Das hat etwas mit Größe und mit einer Haltung zu tun, die dieses Haus vor vielen auszeichnet. Vorsorglich hängen im Foyer Fotos von anderen letzten Aufführungen. So wird es auch in Wittenberg aussehen, wenn der Vorhang nach der letzten "Hose" fällt. Und das ist schon zur Premiere bitter.