Mitteldeutscher Verlag Mitteldeutscher Verlag: Und jedem Ja folgt hier ein Aber
Halle/MZ. - Halle im April 1946: zweiMänner, ein Auftrag, ein Antrag. So hat esbegonnen. Die Männer hießen Friedrich Lessingund Erich Simons, Präsidialdirektor der eine,Angestellter der andere. Eine Verlags-Gesellschaftwar zu gründen, die die Schriften der ProvinzialregierungSachsen zu Druck tragen sollte, eine Nebenstreckefür "Werke privater Autoren" war ausdrücklicherwünscht.
Die "Mitteldeutsche Verlags-Gesellschaft mbH"ging an den Start, die nicht identisch istmit der Mitteldeutschen Druck- und VerlagshausGmbH, in der die MZ erscheint. Gesetzblätterund Formulare sprangen aus der Maschine, aberauch Brechts "Kalendergeschichten" und Tucholskys"Pyrenäenbuch", Werke von Sinclair Lewis undThomas Wolfe. 1800 Titel von über 600Autorenim Rückblick. Geschichten darunter, die Literaturgeschichtemachten.
Protest und Propaganda
Die Rede ist vom Mitteldeutschen Verlag,der am 24. April vor 60 Jahren gegründet wurde.Ein Datum, das überregional wohl kein Aufmerksamkeitsbebenauslösen wird; das muss nicht überraschen,verwundern darf es schon. Dass es bis heutekeine gültige und materialkundige "Biografie"des Mitteldeutschen Verlages gibt, ist hingegenein Skandal. Das Rest-Archiv des Unternehmenslagert in Magdeburg; die Akteure der spannungsvollenJahre des Verlages gehen inzwischen auf die80 zu.
Mit Abstand betrachtet, ist der Mitteldeutscheder kulturhistorisch am meisten beispielhafteund eigentlich interessanteste literarischeVerlag der DDR. Kein zweites Buchunternehmenhing so direkt am Starkstrom von Parteipolitikund Gesellschaft, von Geheimdienst-Kalkülund Zensur. Von hier ging 1959 der "BitterfelderWeg" aus. Hier gingen die unvollendeten Werkausgabenvon Volker Braun und Karl Mickel an den Start.
Große Buchbeispiele von Subversion und Propagandaliefen nebeneinander her; das war sozusagendie verlagspolitische Mischkalkulation: Einscharfer Loest wurde mit einem parteifrommenGotsche bezahlt. Der Verlag als ein Ort, dergesellschaftspolitische Erschütterungen auslöste,und der von diesen oft unerbittlich heimgesuchtwurde; da gibt es Verwundungen, die bis heutenicht ausgeheilt sind. Längst legendäre Fällevon Büchern und Menschen: Christa Wolfs "Nachdenkenüber Christa T." (1968), Erik Neutschs "DieSpur der Steine" (1964), Erich Loests "Esgeht seinen Gang" (1978), Volker Brauns "Hinze-Kunze-Roman"(1985) , Günter de Bruyns "Buridans Esel"(1968) und "Neue Herrlichkeit" (1985). Autorenwie Martin Gregor-Dellin, Christa Wolf, ElkeErb und Heinz Czechowski wirkten zeitweiligals Lektoren.
Dass die Einflussnahmen von Partei und Verlag,Zensurbehörde und Geheimdienst in diesem Hausschwer zu trennen waren, macht den Fall imUmgang so heikel. Eberhard Günther zum Beispiel,Jahrgang 1931, der den Verlag von 1973 bis1990 führte, dann das nunmehr privatisierteUnternehmen bis 1996 leitete, bündelt dieseKonflikte in einer Person. Günther kam vonder Zensurbehörde in Berlin, die sich "HauptabteilungVerlage" nannte. SED-Genosse, Verleger, Stasi-Zuträger.Ein Buchermöglicher aber eben auch. "Ein preußischerCharakter", sagt Erich Loest über Güntherheute. "Ein aufrechter Mann, der meinte, ermüsse ein guter Genosse sein." Ein Mann mitGewissen, was die Arbeit zudem erschwert habe.Hat dessen IM-Tätigkeit dem Autor geschadet?"Selbstverständlich", sagt Loest, "aber mirnicht zu schaden, hätte geheißen, mit mirzu kungeln."
Das schöne Buch
Den zermürbenden Weg seines Romans "Esgeht seinen Gang" vom Lektorat in die Öffentlichkeithat Loest in der Dokumentation "Der VierteZensor" beschrieben. Genau durch solcherartpolitische und persönliche Gemengelagen müsstesteigen, wer die Geschichte dieses Verlagesaufschreiben will. Jeder Satz in dieser Chronik,sagt Erich Loest, wäre einer mit "ja, aber".
Der heutige hat mit dem legendären Ost-Verlagnur noch den Namen gemein. Seit Herbst 2005wird der "mdv" von Roman Pliske geleitet,der von Heidelberg her nach Halle kam. Belletristik,Regionalliteratur, Sach- und Fachbuch bleibendie Nachwende-Säulen des Hauses, das sicham Montag auf der Kulturinsel mit einem Lesefestvor geladenen Gästen feiert.
Pliske setzt auf das schöne, sinnfällig gestalteteBuch. Das Frühjahrsprogramm, das Titel wieT. Lux Feiningers Selbstbiografie und eineNeuausgabe des "Diva in Grau"-Klassikers bietet,ist das beste seit 1990. Die Geschichte desVerlages indes, die so eindrücklich Politik,Gesellschaft und Landschaft spiegelt, stehtweiter aus. Wo, wenn nicht von Sachsen-Anhaltaus, das so gern die Erbepflege preist, wärediese Arbeit zu ermöglichen und schließlichzu beginnen?