Memleben Memleben: Kaisers Herz und unsere Seele
Halle (Saale)/MZ. - Die Landesschau "Otto der Große und das Römische Reich" öffnet am nächsten Wochenende in Magdeburg ihre Pforten. Sie wird begleitet von Korrespondenzausstellungen an sieben Kaiser-Orten in Sachsen-Anhalt. Besonders spannend: die laufende Exposition "Wenn der Kaiser stirbt" im Kloster Memleben, wo das Herz von Otto I. ruht.
War es ein Mönch? Oder wer sonst schnitt dem Herrscher das Herz aus dem Leibe? Mag sein, ein Geistlicher aus dem vielköpfigen Tross, der Otto I., den sie den Großen nannten, hierher begleitet hatte. Nach Memleben. Hierher zog sich der königlich-kaiserliche Familienclan der Ottonen immer wieder gerne zurück. Ein Refugium, idyllisch und friedvoll.
Etwas von jener Abgeschiedenheit ist bis heute zu ahnen in dieser Gegend. Nähert man sich etwa von Norden, wandeln sich die ebenen Flächen der diversen Plateaus hinunter ins Unstruttal überraschend schnell in abwechslungsreiches Hügelland. Ringsum viel Grün von Wald und Wiese, durchsetzt mit dem Gelb erntereifer Felder. Tatsächlich: Die Region mit dem fürs Tourismusmarketing wenig griffigen Namen Saale-Unstrut-Triasland ist eine landschaftliche Perle.
Und mittendrin Memleben mit seinen derzeit nicht mal 700 Einwohnern. Vor gut tausend Jahren ein Treffpunkt der gekrönten Häupter - und ein Schicksalsort. Denn gleich zwei legendäre Herrscher starben hier: König Heinrich I. und sein Sohn Otto I. . Schon gezeichnet von einem Schlaganfall, war der Vater hier am 2. Juli 936 verstorben. Seine ganze Familie war mit ihm, auch der damals 23-jährige Otto. Aus der Hand des Sterbenden hat er wohl hier auch neben dem väterlichen Segen die Königswürde übertragen bekommen. Dieser Moment und die Erinnerung an glückliche Kindheitstage im Unstruttal auf der Jagd mit dem Vater, ließen Memleben für den späteren römisch-deutschen Kaiser und Begründer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zeitlebens zum besonderen Ort werden.
Immer wieder ist dieser bedeutende Herrscher des Mittelalters hierher zurückgekehrt. Zuletzt in jenen Mai-Tagen des Jahres 973. Otto I. war 61 und auf dem Höhepunkt seiner Macht. Nun wollte er wohl sich und seinem Gefolge ein paar Tage um Christi Himmelfahrt im freundlich-stillen Memleben gönnen. Doch: Eine Mahlzeit wurde ihm offenbar zum tödlichen Verhängnis. Jedenfalls vermutet man eine Lebensmittelvergiftung. Man schreibt den 7. Mai 973 - der Kaiser stirbt. Am selben Ort wie sein Vater. Zufall? Fügung? Auf jeden Fall ein Faktum, das dem kleinen Ort im Unstruttal zu einer magischen Aura verhilft. Und Anlass genug für die gegenwärtige Ausstellung im Jahr des 1 100. Geburtstages des großen Otto, in dem sich zugleich zum 1 050. Mal seine Krönung zum Kaiser jährt.
Der Herrschertod im Mittelalter - das ist das Kernthema der geschichtsbewusst und dabei ganz gegenwartsbezogen konzipierten Schau. Die über den Titel hinaus weitaus tiefer greift mit ihren Reflexionen über die Haltung zu Leben und Tod, wie sie die Menschen im Mittelalter bewegte. Und die mit einer geschickten, anregenden Inszenierung letztlich zur heutigen Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Menschheit führt.
Was ist zu sehen, mehr noch: zu erleben? Bilder, Skulpturen, Dokumente, Grabbeigaben, Schmuckstücke, Gegenstände, Filme, Fiktionen. Alles Dinge, die den Besucher hinführen zu den wesentlichen Fragen: Wie sieht die Seele aus? Welchen Weg nimmt sie nach dem Tod? Wie haben es die Menschen im Mittelalter damit gehalten? Und wie gehe ich heute damit um?
Und über allem ist da noch das Herz des großen Otto. Hier in Memleben ist es begraben, so viel steht fest. Sein Leib fand im Dom zu Magdeburg die letzte Ruhe. Doch wo ist es geblieben, das Herz des Kaisers? Keiner weiß es genau. "In der auf Ottos Tod folgenden Nacht wurden seine Eingeweide in der St. Marien-Kirche zu Memleben beigesetzt" notierte Thietmar von Merseburg vier Jahrzehnte nach Ottos Tod. Doch Genaueres wusste offensichtlich auch dieser getreue Chronist des mittelalterlichen Geschehens nicht.
Tatsache ist: Dem verstorbenen Kaiser wurden alsbald die Eingeweide entnommen. Sieben Kilo insgesamt. Ein Längsschnitt vom Brustkorb zum Bauchraum, den vielleicht der eingangs erwähnte Mönch beherzt ansetzte. Mit solch einem Skalpell höchstwahrscheinlich, wie es in einer Vitrine zu sehen ist.
Natürlich hatte der Verbleib des kaiserlichen Herzens an diesem Ort symbolischen Charakter. Eigene Herzbestattungen hat es bis in die jüngste Zeit gegeben, zuletzt im vorigen Jahr bei Otto von Habsburg. Doch nicht zuletzt war die Prozedur auch aus praktischen Gründen geboten. Der Mai 973 war warm. Und der tote Kaiser hatte noch einen 30 Tage währenden Weg nach Magdeburg vor sich, wo die Beisetzung am 3. oder 4. Juni stattfand. Also musste der Leib vor Verwesung bewahrt werden.
Gleich nebenan führt ein Computeranimationsfilm die Vorgänge um den Tod des Kaisers vor Augen. Skulpturen halten mittelalterliche Vorstellungen drastisch fest. Auf einem Bildwerk fließt die Seele aus dem Mund des Toten zu einem Engel. Auf einem anderen nimmt Luzifer persönlich die arme Sünderseele am Höllentor in Empfang.
Wohin also geht die Reise im Jenseits? Wer mag, kann die Chancen spielerisch erproben an einer Bußwaage. Die setzt christliche Vorstellungen ganz robust um mit Gewichten in Rot (die Sünden) und Blau (die dazu fälligen Bußen).
Zu einer sehr persönlichen Art des Erinnerns lädt ein kerzenbesetzter Gedenkplatz ein mit der Möglichkeit, Fürbitten für Verstorbene niederzulegen. Anknüpfend an den Gedanken der Memoria (lat.: Gedächtnis) als Pflicht der Lebenden gegenüber den Toten, um deren Seelenheil zu sichern. Herrscherfamilien wie die Ottonen versicherten sich dazu ganzer Klösterkonvents zum Gedenken im großen Stil. Auf diese Weise entstand auch das Benediktinerkloster Memleben. War dabei die erst im 13. Jahrhundert entstandene Krypta eigens als Ort der Verehrung für das Herz des Kaisers errichtet worden?
Im geheimnisvollen Dunkel des Ortes mag man diesen Gedanken nachgehen. Zurück am Tageslicht erscheint die malerische Ruine der Klosterkirche wie ein Symbol des ewigen Werdens und Vergehens.