Mehrsparten-Musical Mehrsparten-Musical: Stehender Applaus für Gänsehaut-"Cabaret" der Bühnen Halle
Halle (Saale) - Stehender Applaus am Ende. Minutenlang. Das ist auch ein Zeichen. Und hochverdienter Lohn für alle Beteiligten an der Mehrsparten-Musical-Produktion „Cabaret“ der Bühnen Halle, die am Samstag im Opernhaus der Stadt Premiere hatte.
Natürlich ist „Cabaret“ von John Kander, Joe Masteroff (Text) und Fred Ebb (Songtexte) ein Klassiker, der stets sein Publikum zieht. 1966 in New York uraufgeführt, basiert das Werk auf einer Vorlage des englischen Autors Christopher Isherwood und spielt in der letzten Jahren der Weimarer Republik in Berlin.
Schmissig geht es los, das Tingeltangel „Kit Kat Club“ ist ein schillernd-vulgärer Ort des Amüsements und der Anbahnung für Lebens- und Liebeshungrige beiderlei (und auch des gleichen) Geschlechts. Draußen herrscht wirtschaftliche Not, die fragile Demokratie geht zuschanden unter den Stiefeltritten der machthungrigen Nationalsozialisten.
Wenig Gold in den 20ern
Die „Goldenen 20er“ waren für die wenigsten Deutschen golden, die Dreißiger sollten Nazi-braun und schließlich nachtschwarz werden. Darum geht es eigentlich in diesem Musical, dessen Melodien fast jeder über 40 mitpfeifen kann. Und auch Jüngere sind fasziniert von diesem klugen Stück politischer Unterhaltung.
Als man sich in Halle entschloss, dem Vorschlag der Regisseurin Henriette Hörnigk zu folgen und „Cabaret“ als Gemeinschaftsproduktion von Schauspiel, Oper und Staatskapelle auf die Bühne zu bringen, war an den antisemitischen Anschlag vom 9. Oktober, der zwei Unbeteiligte das Leben kostete, nicht zu denken. Nun gibt die Hass-Tat eine zusätzliche, beklemmende Grundierung für diesen Abend ab.
Eine aggressive Stimmung aus Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gedeiht schon lange in bestimmten Milieus und hat nicht nur Menschen in prekärer Lage, sondern auch Teile der bürgerlichen Mittelschicht erfasst. In „Cabaret“ ist das wie in einer Blaupause vorgezeichnet und macht einen regelrecht atemlos.
Wenn die Pensionswirtin Fräulein Schneider das Verlöbnis mit dem Obsthändler Schultz, der ihr Mieter und eben auch Jude ist, nach Drohungen des Hakenkreuzträgers Ernst Ludwig, eines ihrer Bekannten, sicherheitshalber wieder löst, ist alles darüber gesagt, welchen Anteil die Deutschen an der Katastrophe des Holocaust und ihrem eigenen Kriegsleid hatten. Vom Völkermord an den Juden wollten viele hernach nichts gewusst haben, ihr persönliches Unglück beklagten sie umso mehr. Dies alles erzählt die hallesche Inszenierung von „Cabaret“ als Text hinter dem Text. Eine bravouröse Leistung, die allen Mitwirkenden auf und hinter der Bühne zu danken ist.
Hier sind neben der Regisseurin Henriette Hörnigk zuerst der musikalische Leiter Peter Schedding und die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle zu nennen, ebenso die Mitglieder des professionell agierenden Jugendchores, die Kinderdarsteller auch und der Choreograf Dominik Büttner, die Bühnenbildnerin Claudia Charlotte Buchard, die Kostümbildnerin Henrike Engel und der Dramaturg Philipp Amelungsen. Reichlich Applaus für alle gab es zur öffentlichen Premierenfeier im Operncafé.
Nicht zuletzt die Darstellerinnen und Darsteller verdienen sämtlich ein Einzellob: Florian Krannich als Gast spielt einen wunderbar vulgären, leicht schmierigen Conférencier, der am Ende in schwarzen Hosen und Stiefeln den rechten Arm zum Hitlergruß reckt. Cynthia Cosima Erhardt, die zur Premiere die Nachtlokal-Sängerin Sally Bowles glaubwürdig als haltlos Getriebene gab, die nicht mit ihrem Gefährten, dem labilen, aber anständigen Schriftsteller Clifford Bradshaw (überzeugend: Nils-Thorben Bartling) in dessen Heimat, die USA, fliehen will.
Liebevoll, tragikomisch und rührend jeder für sich wie auch als Paar agieren und singen Barbara Schnitzler (als Gast) und Matthias Brenner in den Rollen des Fräulein Schneider (zur Uraufführung am Broadway von Kurt Weills Witwe Lotte Lenya gespielt) und des Juden Schultz.
Betroffenes Schweigen
Harald Höbinger zeigt den kleinen, beängstigenden Geschäftemacher Ernst Ludwig, der ein großer Nationalsozialist und Judenjäger werden will. Und Nora Schulte als Fräulein Kost, die von der Liebe der Matrosen lebt und schließlich ihr Heil bei den Nazis sucht, macht Gänsehaut mit ihrem „deutschen“ Lied. Damit entlässt sie das Publikum in die Pause. Nach all dem Szenenapplaus zuvor herrscht nun beinahe völliges Schweigen im Saal. Auch die Premierenbesucher haben Beifall verdient. Und Halle kann stolz auf sein(e) Theater sein.
››Nächste Aufführungen am kommenden Donnerstag und Freitag, jeweils um 19.30 Uhr, Oper Halle (mz)