Medien Medien: Erich Böhme ist tot
Berlin/ddp. - Vor zehn Jahren erkrankte Erich Böhme. «Plötzlichund unerwartet war er da, der Krebs. Da kann man zwei Dinge machen -aus dem Fenster springen oder sagen: Krebs, du böses Tier, dir haltich jetzt die Kehle zu.» Er entschied sich für die zweite Variante.Jetzt starb Böhme im Alter von 79 Jahren. Und wird als«journalistisches Urgestein» der deutschen Medienlandschaft inErinnerung bleiben. Das «Krokodil» nannten ihn Kollegen, weil er«scheinbar teilnahmslos in der Sonne liegt, und hin und wiederzuschnappt». Und dann aber nicht mehr loslässt.
Wenn früher der ehemalige «Spiegel»-Chefredakteur und Talkmasteraufwachte, brauchte er noch vor dem Kaffee erst mal ein halbesDutzend Zeitungen. Böhme war ein Vollblutjournalist, stellteinformierend, belehrend und unterhaltend das Zeitgeschehen vor - undauch sich selbst gerne dar. Nach 17 Jahren an der Spitze desNachrichtenmagazins startete er seine zweite Karriere beim Fernsehen,wo er die Sat.1-Sendung «Talk im Turm» moderierte. Seinespitzbübische Art, seine bohrenden Fragen und das fortwährende Spielmit der Lesebrille sind unvergessen.
Am 8. Februar 1930 kommt Böhme in Frankfurt am Main zur Welt,marschiert als Pimpf in der Hitlerjugend, sieht sich Bomben- undNachkriegsnot ausgesetzt. «Das musste anders werden. Ich beschloss,Journalist zu werden und der Welt die Welt zu erklären», sagte er ineinem ddp-Interview. Schon neben dem Volkswirtschaftsstudium verdienter sich nachts erste Sporen bei einer Nachrichtenagentur, für die er1953 auch als Korrespondent nach Bonn geht. Nach einem Intermezzo beider «Deutschen Zeitung» wechselt er auf Empfehlung seines FreundesGünter Gaus als Redakteur ins Bonner «Spiegel»-Büro, das er späterleitet.
Nach zwei Jahrzehnten im «Bundesdorf» wird er Chefredakteur desHamburger Magazins. Hier hat das «Krokodil» kräftig zugeschnappt -zwischen Flick-, Coop-, Neue Heimat- und Barschel-Affäre - so manchesMal. «Ich habe viele Politiker, Wirtschaftler, Künstler kommen sehenund sehr viele, manche durch meine Zeilen, auch wieder gehen», sagteer. Schließlich geht er selbst, als sich Differenzen mit«Spiegel»-Herausgeber Augstein durch Böhmes kurz vor dem Mauerfallpublizierten Satz «Ich will nicht wiedervereinigt werden» zugespitzthaben.
«Im Osteinsatz tätige Reue» übt Böhme nach eigenem Bekunden, alser ab 1990 vier Jahre lang als Herausgeber das frühereSED-Bezirksblatts «Berliner Zeitung» durch die Wendezeit geleitet.Seinen ersten Auftritt hat er im teuren Anzug mit Seidenkrawatte undEinstecktuch inmitten schäbiger Möbel und Jeans-gewandeterRedakteure. Doch schnell macht er sich beliebt, lässt seinen großenMercedes in der Garage und fährt mit einem alten Wartburg durch dieStadt. Und als Berlin dann schließlich zur Bundeshauptstadt gekürtwird, lässt Böhme in der Redaktion die Korken knallen. Wenn schonWiedervereinigung, dann richtig. Noch bis 2003 hält er der Zeitungals Kolumnist die Treue.
Parallel dazu avanciert er zu einem der beliebtesten deutschenTV-Talker. 1990 hebt er mit der Sat.1-Sendung «Talk im Turm» dasGenre Polit-Talk maßgeblich mit aus der Taufe. Achteinhalb Jahrefühlt er allsonntäglich mit punktierten Krawatten mehr als 2000Talkgästen auf den Zahn und schlenkert dabei mit der Brille. Am Tagder Bundestagswahl 1998 tritt er ab. «Man soll gehen, wenn die Partyauf dem Höhepunkt ist», lässt er wissen - und feiert auf demNachrichtensender n-tv doch noch ein paar Jahre weiter.
Zum «Grünen Salon», den Böhme ab 1997 mit dem sächsischenEx-Innenminister Heinz Eggert moderiert, gesellt sich später «Talk inBerlin». Nach der Bundestagswahl 2002 tritt er endgültig von allenFernsehämtern zurück. Am Ende zieht sich der rastloseNachrichten-Arbeiter mit einer Vorliebe für guten Rotwein und einemFerienhaus in Südfrankreich ins Private zurück. Nach einem halbenJahrhundert Journalismus findet er dort noch einmal das große Glück -mit der 17 Jahre jüngeren ehemaligen DDR-NachrichtensprecherinAngelika Unterlauf, die seine vierte Ehefrau wird.
«Mit Erich Böhme verlieren wir einen herausragenden Journalisten,einen großartigen Kollegen, einen wunderbaren Menschen», erklärtendie «Spiegel»-Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller vonBlumencron. «Wir beim 'Spiegel' haben ihm so viel zu verdanken. Wirwerden ihn vermissen.»
Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) würdigteBöhme als einen «wortmächtigen und prägenden Journalisten». Böhmehabe die zentralen Debatten der vergangenen Jahrzehnte «nicht nurbegleitet, sondern mitgeprägt», sagte Westerwelle in Berlin. «Seinklares Urteil, seine prägnanten Analysen und sein charmanter Witzwerden dem deutschen Journalismus, aber auch mir ganz persönlichfehlen.»