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Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern: Piraten bringen Rügen auf Kurs

Von Thomas Wüpper 25.06.2008, 18:43

Ralswiek/MZ. -
Ein Schuss, ein Todesschrei. Kopfüber stürzt der Kämpfer vom Kirchturm in die Tiefe. Ein dumpfer Aufschlag ist zu hören. Peter Hick nickt zufrieden: "Keine Sorge, er hat's überlebt." Ein Luftkissen hat hinter den Kulissen den Mann aufgefangen. "Das haben wir extra in den USA gekauft", erzählt Hick. Denn die Kollegen mit der riskantesten Aufgabe sollen jeden Abend sicher landen. Schließlich stehen 66 Aufführungen des neuen Störtebeker-Stücks "Der Seewolf" auf dem Spielplan.

Der 62-Jährige hat seine Karriere einst selbst in der Risikoabteilung gestartet. Als Stuntman der Filmfabrik Defa zerlegte er Autos, stürzte von Türmen, spielte in Schlägereien. Das gefährlichste Abenteuer aber misslang - seine Flucht aus der DDR. Für 100 000 Mark kaufte ihn der Westen 1976 aus der Haft frei. Bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) fand Hick eine neue Heimat.

Nach dem Fall der Mauer kehrte Hick mit seiner Frau Ruth in den Osten zurück. In Ralswiek auf Rügen hatte die SED einst mit großem Pomp sozialistische Arbeiter-Festspiele inszeniert. Die Legende vom Piraten Klaus Störtebeker, der gegen Adel und Kirche aufbegehrt, passte ins ideologische Konzept. Doch nach der letzten Aufführung 1981 zerfielen die Anlagen.

Die Insulaner empfingen die Theatermacher mit Skepsis. "Man nahm uns nicht ernst, keiner begriff, welch großer Erfolg das werden kann", erinnert sich Hick. Wie Störtebeker musste er sich durchkämpfen. Ersten Partnern fehlte das Geld. So wagte er den Neustart auf eigenes Risiko. Fünf Millionen Mark gab die Sparkasse, zwei Millionen der Sponsor Nissan und eine Million Kulturförderung das Land. Damit verwandelte seine kleine Truppe die verfallene Naturbühne in eines der weltweit größten Freilufttheater mit fast 9 000 Sitzplätzen, modernster Bühnentechnik sowie mehr als 300 Mitwirkenden. Sogar Seeschlachten auf dem angrenzenden Bodden sind möglich. Alles schien gut zu werden.

Doch zum Auftakt der ersten Saga "Wie einer Pirat wird" kamen 1993 nur 70 000 Gäste. Viel zu wenig bei Produktionskosten von mehr als vier Millionen Mark. "Ohne die erneute Hilfe unseres Hauptsponsors wären wir pleite gewesen", erinnert sich Geschäftsführerin Ruth Hick. Der Durchhaltewillen zahlte sich aus. Zum "Kampf um Stockholm" kamen in der nächsten Saison schon 150 000 Besucher, die Fahrten der "Piraten der Westsee" verfolgten mehr als 200 000 Gäste.

"Inzwischen haben wir 350 000 Besucher pro Jahr, und mehr als zwei Drittel davon sind Stammkunden", erzählt Hick. Sein Erfolgskonzept sei ganz schlicht: "Wir machen Volkstheater im besten Sinne, spannend, unterhaltsam, mit guten Schauspielern und vielen aufregenden Szenen. Und dafür brauchen wir keine Subventionen."

Theaterschauspieler Sascha Gluth gibt seit sechs Jahren den Störtebeker. Allein zwei Dutzend Sprechrollen umfasst das Ensemble, darunter bekannte Namen wie Ingrid van Bergen, Ben Hecker oder TV-Moderator Wolfgang Lippert. Und auch die 16. Auflage ist stark gefragt. Neben den Kreidefelsen und der Binzer Strandpromenade gilt Störtebeker heute als größte Attraktion der Insel. Mit im Schnitt 5 500 Besuchern pro Abend und neun Millionen Euro Jahresumsatz sind die Festspiele einer der größten Wirtschaftsfaktoren auf Rügen geworden. "Fast drei Viertel unserer Besucher kommen nur wegen uns auf die Insel, bleiben knapp fünf Tage hier und geben 110 Millionen Euro pro Jahr aus", so Hick.

Das Familienunternehmen Hick macht bis heute alles selbst. Das Gelände in Ralswiek, Theaterbetrieb, Bewirtung und Kartenverkauf sind unter dem Dach einer Firmengruppe organisiert, die dem Ehepaar und Tochter Anna-Theresa gehört. Die 26-jährige Betriebswirtin arbeitet mit, kennt als Regieassistentin die Theaterbranche und soll die Leitung der Festspiele einmal übernehmen. Das ist zumindest der Wunsch ihres Vaters, der vorerst aber die Zügel noch nicht aus der Hand geben mag. Es scheint, als habe Peter Hick Heimat und Glück auf Rügen gefunden.

2009 soll eine neue Trilogie starten. Störtebekers Piraten werden in den Wirren des Hundertjährigen Krieges bis nach Frankreich, Spanien und Irland reisen, auf der Suche nach dem legendären Goldschatz der Templer. "Der Stoff für Geschichten", sagt Hick, "wird uns so schnell nicht ausgehen."

Die Störtebeker Festspiele laufen bis zum 6. September. Aufführungen täglich außer sonntags. Karten kosten zwischen zwölf und 26 Euro. Information 0 38 38 / 3 11 00.

Informationen im Internet: www.stoertebeker.de