Maxie Wander Maxie Wander: Das Leben, dieser Augenblick
Halle/MZ. - Je schneller die DDR im Rückspiegel verwackelt, um so präsenter wirkt die nachgelassene Protokoll-Prosa der Maxie Wander: genauer noch und tiefenschärfer. Bei der "Guten Morgen, du Schöne"-Lektüre meldet sich, was sich auch bei anderer Vor-89er-Literatur immer häufiger einstellt: so ein "Das durfte gedruckt werden?"-Staunen. Diese Verblüffung spricht nicht für das Zensur-freudige "Leseland" DDR, sondern gegen die eigene Erinnerungskraft: Was gestern Alltag war, ist heute ein Rätsel.
Wie wirkte und wirkt denn so eine Selbstauskunft, die Maxie Wander hinter der Maske der "Rosi - 32Jahre, Sekretärin, 1Kind, verheiratet" in ihrem 1977 erschienen Protokollband "Guten Morgen, du Schöne" gab? "Das Strammstehen in der Schule, diese äußerliche, sinnlose Disziplin, Fahnenappell, Augen links, Augen rechts. Was hat das mit Sozialismus zu tun? Das widerstrebt mir total. Ich kam mir wie vergewaltigt vor."
So ein Wort erwischte: Es stellte Öffentlichkeit her für einen Notstand, der in gedankenleerer Routine in Honeckers Schmalland waltete. Befreiung durch Maxie? Nein, aber private Stärkung war hier zu holen und kollektive Bewusstwerdung auch. Dabei wurde, wo es keine politische Lösung geben durfte, das DDR-Dauer-Dilemma im Kern literarisch verdoppelt. Neu ist indes, dass solche Sätze heute wieder auf einigen Protest stoßen würden. Das spricht für die Wahrnehmungsschärfe der Maxie Wander und gegen die These, dass die Wertungs-Intelligenz eines jeden Zeitzeugen mit seinen Jahren wachse. Das tut sie nicht, sie sucht sich nur neue Gegenstände. Die Westberliner Journalistin Sabine Zurmühl hat sich Maxie Wander gesucht. Zurmühl, Jahrgang 1947, kannte Maxie Wander nicht persönlich und auch nicht die DDR-Situation.
Kein Nachteil auf den ersten Blick: Wanders Protokolle sorgten in Ost und West für Furore. Im Westen saß Sabine Zurmühl und kommentierte aus feministischer Sicht. Dieser Tage legt sie ihren Blick auf die Frau hinter den Büchern vor: "Das Leben, dieser Augenblick - Die Biografie der Maxie Wander". Die 1933 in Wien geborene Autorin war ja die wahrscheinlich wirkungsmächtigste Schriftstellerin der späten DDR. Dabei feierten die Bücher erst nach 1977, dem Todesjahr der Autorin, öffentliche Erfolge. Sabine Zurmühl hat mit allen greifbaren Familienangehörigen und Freunden gesprochen: von Maxies Ehemann Fred Wander, der 84jährig in Wien lebt, bis hin zu Christa und Gerhard Wolf.
Mit einigem stilistischem Aufwand strickt Zurmühl alle verfügbaren Daten in ihre mehr einfühlende als aufklärende Prosa. Die Kindheit in Wien, die kommunistische Familie (Stalin im Goldrahmen im mütterlichen Schlafzimmer), 1956 die Heirat mit dem Auschwitz-Überlebenden Fritz Rosenblatt, der sich Fred Wander nennt. Fred studiert 1955 mit Erich Loest und Ralph Giordano am Leipziger Literaturinstitut. Der Osten soll ihn nicht mehr loslassen. Hier kann Fred Wander verlegen, hier wird er umworben.
1958 siedelt die Familie offiziell in die DDR über: Wohnsitz Kleinmachnow. Die Grenze verläuft durch den Garten. Maxie ist Mutter, Ehefrau, Journalistin und vor allem "die Frau an der Seite des Mannes", der sich Auszeiten von der Familie gönnt, um schreiben zu können, was auch Maxie will. "Ich muss einfach meinen überwältigenden Rappel nach Freiheit stillen, dann halt' ich es wieder ein Jahr aus", notiert sie, die den Sohn Daniel, den Adoptivsohn Roberto und die Tochter Kitty aufzieht - Kitty, die 1968 im Alter von zehn Jahren tödlich verunglückt: Sie stürzt in eine Kanalbaugrube, die aufgrund ihrer Grenznähe nicht abgesperrt wurde. Kittys Tod bleibt ein Trauma. So stark wie der Wunsch ihrer Mutter, endlich eine souveräne Autorinnen-Existenz führen zu können. 1977 stirbt Maxie Wander an Krebs, der erst zwei Jahre zuvor diagnostiziert wurde.