Martin Wuttke Martin Wuttke:
HALLE/MZ. - Herr Wuttke, Sie haben gerade in einer Vorstellung Ihrer Inszenierung „Das abenteuerliche Herz: Droge und Rausch“ nach Texten von Ernst Jünger gespielt. Wie lange braucht man, um „runterzukommen“?
Wuttke: Tatsächlich braucht man eine kleine Weile, um sich zu beruhigen. Dabei ist das ja „nur“ eine Nachmittagsvorstellung gewesen. Nach einem langen Abend, der fünf, sechs Stunden dauert, fällt es mir schwer, vor drei Uhr ins Bett zu gehen. Aber es ist auch ein sehr angenehmes Gefühl, wenn man so durchwalkt zur Ruhe kommt. Als ob man vom Sport käme.
Wie kamen Sie auf Jünger? Über den man inzwischen zwar spricht, aber immer noch nicht gern?
Wuttke: Zu Unrecht. Was einem immer einfällt bei diesem Autor sind die „Stahlgewitter“ und die unterstellte Nähe zu den Nationalsozialisten. Dass er gar einer von denen gewesen wäre... Die Texte unseres Stückes sind zwischen den Kriegen entstanden, ein Frontheimkehrer findet ein paralysiertes Land vor: Im Berlin der 20er Jahre wird exzessiv gefeiert, der Drogenkonsum ist wahrscheinlich nie so hoch gewesen wie zu jener Zeit. Jünger hielt das für symptomatisch, er hat sich bereits früh und lebenslang damit beschäftigt. Das Phänomen erschein ihm nicht randständig und unanständig zu sein, sondern etwas Zentrales, über das sich gesellschaftliches Leben konstituiert. Dieses Thema taucht auch bei anderen Autoren auf, in Goethes „Faust“ zum Beispiel.
Theater selbst wirkt wie eine Droge - und konkurriert gegen andere „Suchtstoffe“ wie das Fernsehen und die Neuen Medien. Muss man sich um das Theater deshalb Sorgen machen?
Wuttke: Tatsächlich gehen in einer Woche mehr Leute ins Theater als in ein Fußballstadion. Nur produziert der Fußball, über das Medium Fernsehen zum Beispiel, mehr Aufsehen und entsprechenden ökonomischen Mehrwert. Es ist allerdings auch so, dass das Theater nicht mehr den Stellenwert besitzt, den es einmal, zumal in der DDR, hatte. Aber diese Form der Auseinandersetzung fehlt ja generell. Ich kann das auch im Fernsehen nicht erkennen. Das Großartige am Theater ist, dass man dort Themen vortragen kann, die anderswo keinen Platz mehr finden.
Sie haben sowohl mit Heiner Müller als auch mit Einar Schleef gearbeitet.
Wuttke: Die Begegnungen mit beiden waren für mich beeindruckend, es war gut, von ihnen lernen zu dürfen, ohne „erzogen“ zu werden. Die Begegnung mit Müller war mehr von einer persönlichen Nähe bestimmt. Mit Schleef gab es ein intensives Arbeitsverhältnis, das meinen Weg als Schauspieler bestimmt hat. Dabei wollte ich ja ursprünglich Kunst studieren.
Haben Sie die hallesche Werkschau Schleefs gesehen?
Wuttke: Ja. Eine fantastische Ausstellung, ein großes Erlebnis für mich. Hervorragend kuratiert, Ich würde mir wünschen, dass man eine Schleef-Retrospektive von diesem Format auch hier in Berlin zeigt.
Schleef war kein unkomplizierter Mensch. War der Umgang mit ihm nicht schwierig?
Wuttke: Ich empfand das nicht so.
Sie wollten Kunst studieren - woher kam der Drang zum Theater?
Wuttke: Ich bin da so reingeschlittert. Ich war mit 16 von der Schule geflogen und dann wusste ich nicht weiter…
Weshalb hat man Sie rausgeworfen? Wegen unangepassten Verhaltens?
Wuttke: Ja, so könnte man sagen. Und meine Freundin, die Kunst studierte, wollte unbedingt Schauspielerin werden. Das kann auch nicht schaden. Hinzu kam, dass die Schauspielschule in meinem Wohnort Bochum lag. Nach Hamburg oder Berlin wäre ich nicht gegangen. Dann war ich fertig und bekam ein Engagement. Trotzdem dachte ich noch lange, dass ich das erst einmal machen und dann weitersehen würde…
Wie lange dauerte dieser Zustand?
Wuttke: Als ich mit Anfang 30 am Berliner Ensemble Intendant wurde, begriff ich: Das war es jetzt.
Ein glückliches Ende also.
Wuttke: Das kann man so oder sehen. Manchmal ist es auch sonderbar, einen Beruf auszuüben, für den man sich eigentlich nie bewusst entschieden hat. Das unterscheidet mich von vielen meiner Kollegen. Vielleicht ist es aber auch so, dass man gerade dann Erfolg hat auf einem Gebiet, wenn man es nicht um jeden Preis schaffen will.
Heute werden junge Leute ohne Schauspielausbildung für TV-Serien von der Straße weggefangen und zu Stars hochgeschrieben Kränkt sie das?
Wuttke: Nein. Ich sehe auch fast nichts davon. Wenn ich diese bunten Blätter aufschlage, kann mir meine „Tatort“-Kollegin Simone Thomalla sagen, wer das ist. Ich weiß das nicht.
Womit wir beim „Tatort“-Krimi sind. Sie haben beim MDR das Erbe Peter Sodanns angetreten, Wird Wuttke das mögen?, fragte man sich.
Wuttke: Ich mich auch.
Es läuft offenbar ganz gut?
Wuttke: Mich hat das Medium Fernsehen immer interessiert, weil es viel kann. Also dachte ich: Warum sollte man das nicht tun? Zunächst war das dann ein schwieriger Prozess, einander zu verstehen und anzunehmen. Und ich habe mit dem Fernsehen auch andere Ansprüche verbunden: Warum das alles so lange dauern muss? Die Auseinandersetzungen am Theater sind schneller, geradliniger, konkreter als in diesen dinosaurierhaften Apparaten der Fernsehanstalten. Man sagt ja dem Fernsehen immer nach, es sei ein schnelles Medium. Das kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Wenn man in einem Drehbuch drei Sätze verändern möchte, kann das zwei Monate dauern. Und trotzdem hat sich nicht viel geändert.
Sie „bauen“ sich Ihren Kommissar aber doch?
Wuttke: Ja, aber es funktioniert nur bedingt. Anders als auf der Bühne. Was ich dort sage, bestimme ich. Was ich vor der Kamera sage, wird unter Umständen herausgeschnitten und fällt dann einfach weg. (lacht) Aber ernsthaft, ich würde das schon etwas anders machen, wenn man schon in Leipzig ist. Ich würde gern Filme machen, die aus der speziellen Topografie der Stadt, einer Region gedacht sind. Ich weiß aber auch, dass man dafür Partner braucht, die so was auch wollen.
Vielleicht sind die 90 Minuten zu kurz, die das Ganze nur dauern darf?
Wuttke: Die würden reichen, entschlösse man sich, auf den Reihen-Charakter der Krimis zu setzen und nicht in jedem Film eine ganze Geschichte erzählen wollte. In Wien hat mich neulich ein Taxifahrer erkannt: ich sei doch der Grantler aus dem Fernsehen. Grantler ist ein Archetyp in Österreich. Den merkt man sich. Aber in Deutschland hat man Angst davor, Figuren zu zeigen, die tatsächlich unsympathisch sind. Dabei ist der Beruf eines Polizisten zum Beispiel nicht unbedingt ein sympathischer. Doch im Fernsehen gibt es so ein Gutmenschentum. Das verhindert spannende Filme. Ich aber zweifle daran, dass Menschen a priori edel, hilfreich und gut sind. Ich würde gern mal einen bösartigen Menschen spielen. Und der wäre vielleicht viel unterhaltsamer und interessanter.
Dann muss die Arbeit mit Tarantino für „Inglourious Basterds“ auch unter diesem Aspekt ja der reine Genuss gewesen sein?
Wuttke: Das kann man sagen! Ich bewundere Tarantino seit vielen Jahren. die Arbeit mit ihm war ein großes Vergnügen. Da gibt es ein anderes Grundverständnis der Welt, da sind die Guten nicht immer nur gut. Und mir hat Spass gemacht, dass am Ende die ganze Nazibande in die Luft fliegt… Zwar war ich anfangs nicht gerade begeistert, den Hitler spielen zu sollen. Doch dann hat eine Freundin zu mir gesagt: Mensch, es ist Tarantino, da kannst du auch Hitler spielen! Und tatsächlich kann man das bei ihm auch. Im „Untergang“ hätte ich ungern Hitler gespielt.
Mit Martin Wuttke sprach unser Redakteur Andreas Montag.