1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Martin Wuttke: Martin Wuttke:

Martin Wuttke Martin Wuttke:

04.12.2009, 13:36

HALLE/MZ. - Herr Wuttke, Sie haben gerade in einer Vorstellung 
Ihrer Inszenierung „Das abenteuerliche Herz: Droge 
und Rausch“ nach Texten von Ernst Jünger gespielt. 
Wie lange braucht man, um „runterzukommen“?

Wuttke: Tatsächlich braucht man eine kleine 
Weile, um sich zu beruhigen. Dabei ist das ja 
„nur“ eine Nachmittagsvorstellung gewesen. Nach 
einem langen Abend, der fünf, sechs Stunden dauert, 
fällt es mir schwer, vor drei Uhr ins Bett zu 
gehen. Aber es ist auch ein sehr angenehmes Gefühl, 
wenn man so durchwalkt zur Ruhe kommt. Als ob 
man vom Sport käme.

Wie kamen Sie auf Jünger? Über den man inzwischen 
zwar spricht, aber immer noch nicht gern?

Wuttke: Zu Unrecht. Was einem immer einfällt 
bei diesem Autor sind die „Stahlgewitter“ und 
die unterstellte Nähe zu den Nationalsozialisten. 
Dass er gar einer von denen gewesen wäre... Die 
Texte unseres Stückes sind zwischen den Kriegen 
entstanden, ein Frontheimkehrer findet ein paralysiertes 
Land vor: Im Berlin der 20er Jahre wird exzessiv 
gefeiert, der Drogenkonsum ist wahrscheinlich 
nie so hoch gewesen wie zu jener Zeit. 
Jünger hielt das für symptomatisch, er hat sich 
bereits früh und lebenslang damit beschäftigt. 
Das Phänomen erschein ihm nicht randständig und 
unanständig zu sein, sondern etwas Zentrales, 
über das sich gesellschaftliches Leben konstituiert. 
Dieses Thema taucht auch bei anderen Autoren auf, 
in Goethes „Faust“ zum Beispiel.

Theater selbst wirkt wie eine Droge - und 
konkurriert gegen andere „Suchtstoffe“ wie das 
Fernsehen und die Neuen Medien. Muss man sich 
um das Theater deshalb Sorgen machen?

Wuttke: Tatsächlich gehen in einer Woche 
mehr Leute ins Theater als in ein Fußballstadion. 
Nur produziert der Fußball, über das Medium Fernsehen 
zum Beispiel, mehr Aufsehen und entsprechenden 
ökonomischen Mehrwert. Es ist allerdings auch so, dass das 
Theater nicht mehr den Stellenwert besitzt, den 
es einmal, zumal in der DDR, hatte. Aber diese Form der Auseinandersetzung 
fehlt ja generell. Ich 
kann das auch im Fernsehen nicht erkennen. Das Großartige 
am Theater ist, dass man dort Themen vortragen 
kann, die anderswo keinen Platz mehr finden.

Sie haben sowohl mit Heiner Müller als auch 
mit Einar Schleef gearbeitet.

Wuttke: Die Begegnungen mit beiden waren 
für mich beeindruckend, es 
war gut, von ihnen lernen zu dürfen, ohne 
„erzogen“ zu werden. Die Begegnung mit Müller 
war mehr von einer persönlichen Nähe bestimmt. 
Mit Schleef gab es ein intensives Arbeitsverhältnis, 
das meinen Weg als Schauspieler bestimmt hat. 
Dabei wollte ich ja ursprünglich Kunst studieren.

Haben Sie die hallesche Werkschau Schleefs 
gesehen?

Wuttke: Ja. Eine fantastische Ausstellung, 
ein großes Erlebnis für mich. Hervorragend kuratiert, 
 Ich würde mir wünschen, dass man eine 
Schleef-Retrospektive von diesem Format auch hier 
in Berlin zeigt.

Schleef war kein unkomplizierter Mensch. War 
der Umgang mit ihm nicht schwierig?

Wuttke: Ich empfand das nicht so.

Sie wollten Kunst studieren - woher kam der 
Drang zum Theater?

Wuttke: Ich bin da so reingeschlittert. 
Ich war mit 16 von der Schule geflogen und dann wusste ich nicht weiter…

Weshalb hat man Sie rausgeworfen? Wegen unangepassten 
Verhaltens?

Wuttke: Ja, so könnte man sagen. Und meine Freundin, die Kunst 
studierte, wollte unbedingt Schauspielerin werden. 
 Das kann auch nicht schaden. 
Hinzu kam, dass die Schauspielschule in meinem 
Wohnort Bochum lag. Nach Hamburg oder Berlin wäre 
ich nicht gegangen. Dann war ich fertig und bekam 
ein Engagement. Trotzdem dachte ich noch lange, 
dass ich das erst einmal machen und dann weitersehen 
würde…

Wie lange dauerte dieser Zustand?

Wuttke: Als ich mit Anfang 30 am Berliner 
Ensemble Intendant wurde, begriff ich: Das war 
es jetzt.

Ein glückliches Ende also.

Wuttke: Das kann man so oder sehen. Manchmal 
ist es auch sonderbar, einen Beruf auszuüben, 
für den man sich eigentlich nie bewusst entschieden 
hat. Das unterscheidet mich von vielen meiner 
Kollegen. Vielleicht ist es aber auch so, dass 
man gerade dann Erfolg hat auf einem Gebiet, wenn 
man es nicht um jeden Preis schaffen will.

Heute werden junge Leute ohne Schauspielausbildung 
für TV-Serien von der Straße weggefangen und zu 
Stars hochgeschrieben Kränkt sie das?

Wuttke: Nein. Ich sehe auch fast nichts 
davon. Wenn ich diese bunten Blätter aufschlage, 
kann mir meine „Tatort“-Kollegin Simone Thomalla 
sagen, wer das ist. Ich weiß das nicht.

Womit wir beim „Tatort“-Krimi sind. Sie haben 
beim MDR das Erbe Peter Sodanns angetreten, Wird 
Wuttke das mögen?, fragte man sich.

Wuttke: Ich mich auch.

Es läuft offenbar ganz gut?

Wuttke: Mich hat das Medium Fernsehen 
immer interessiert, weil es viel kann. Also dachte 
ich: Warum sollte man das nicht tun? Zunächst 
war das dann ein schwieriger Prozess, einander 
zu verstehen und anzunehmen. Und ich habe mit 
dem Fernsehen auch andere Ansprüche verbunden: 
Warum das alles so lange dauern muss? Die Auseinandersetzungen 
am Theater sind schneller, geradliniger, konkreter 
als in diesen dinosaurierhaften Apparaten der 
Fernsehanstalten. Man sagt ja dem Fernsehen immer nach, es sei ein 
schnelles Medium. Das kann ich aus meiner Erfahrung 
nicht bestätigen. Wenn man in einem Drehbuch drei 
Sätze verändern möchte, kann das zwei Monate dauern. 
Und trotzdem hat sich nicht viel geändert.

Sie „bauen“ sich Ihren Kommissar aber doch?

Wuttke: Ja, aber es funktioniert nur bedingt. 
Anders als auf der Bühne. Was ich dort sage, bestimme 
ich. Was ich vor der Kamera sage, wird unter Umständen 
herausgeschnitten und fällt dann einfach weg. 
(lacht) 
Aber ernsthaft, ich würde das schon etwas anders machen, 
wenn man schon in Leipzig ist. Ich würde gern 
Filme machen, die aus der speziellen Topografie 
der Stadt, einer Region gedacht sind. Ich weiß 
aber auch, dass man dafür Partner braucht, die so was auch wollen.

Vielleicht sind die 90 Minuten zu kurz, die 
das Ganze nur dauern darf?

Wuttke: Die würden reichen, entschlösse 
man sich, auf den Reihen-Charakter der Krimis 
zu setzen und nicht in jedem Film eine ganze Geschichte 
erzählen wollte. 
In Wien hat mich neulich ein Taxifahrer erkannt: 
ich sei doch der Grantler aus dem Fernsehen. Grantler 
ist ein Archetyp in Österreich. Den merkt man 
sich. Aber in Deutschland hat man Angst davor, 
Figuren zu zeigen, die tatsächlich unsympathisch 
sind. Dabei ist der Beruf eines Polizisten zum 
Beispiel nicht unbedingt ein sympathischer. 
Doch im Fernsehen gibt es so ein Gutmenschentum. 
Das verhindert spannende Filme. Ich aber zweifle 
daran, dass Menschen a priori edel, hilfreich 
und gut sind. Ich würde gern mal einen bösartigen 
Menschen spielen. Und der wäre vielleicht viel 
unterhaltsamer und interessanter.

Dann muss die Arbeit mit Tarantino für „Inglourious 
Basterds“ auch unter diesem Aspekt ja der reine 
Genuss gewesen sein?

Wuttke: Das kann man sagen! Ich bewundere 
Tarantino seit vielen Jahren. die Arbeit mit ihm war ein großes Vergnügen. Da gibt es ein anderes Grundverständnis der Welt, 
da sind die Guten nicht immer nur gut. Und mir hat Spass gemacht, dass am Ende die ganze Nazibande 
in die Luft fliegt… 
Zwar war ich anfangs nicht gerade begeistert, 
den Hitler spielen zu sollen. Doch dann hat eine 
Freundin zu mir gesagt: Mensch, es ist Tarantino, 
da kannst du auch Hitler spielen! Und tatsächlich 
kann man das bei ihm auch. Im „Untergang“ hätte 
ich ungern Hitler gespielt.

Mit Martin Wuttke sprach unser Redakteur Andreas Montag.