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Märchenfilm Märchenfilm: «Unser Aschenbrödel!»

Von IRIS STEIN 04.12.2009, 19:31

Halle/MZ. - Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht." - So lautet das berühmteste Rätsel der Filmgeschichte seit dieses Märchen über Leinwände und Bildschirme flackert. Die Antwort, wer das ist, weiß die Fan-Gemeinde im Chor: "Unser Aschenbrödel!" Selten stimmen Filmtext und Wirklichkeit so überein wie in diesem Fall, denn das zauberhafte Mädchen wird nicht nur vom Prinzen geliebt, sondern von Millionen begeisterter Zuschauer von drei bis 99.

Und jährlich werden es mehr, lässt sich hinzufügen, vor allem in diesem Jahr. Dafür sorgt nicht nur die flächendeckende Ausstrahlung im Fernsehen alljährlich rund um die Weihnachtsfeiertage, sondern auch die Wiederaufnahme ins Kino-Programm von Sonntag an. Es gehört vermutlich keine prophetische Gabe dazu, volle Säle vorauszusagen. So sehr eingefleischte Anhänger auch jede Szene und Kameraeinstellung kennen, so sicher wie sie den Streifen im Fernsehprogramm meist mehrfach in jedem Jahr verfolgen, so unvergleichlich spektakulärer ist dennoch eine Aufführung im Kino.

So mancher, der in den letzten Wochen die Ausstellung im Schloss Moritzburg bei Dresden besucht hat, wird daran wehmütig gedacht haben. Aschenbrödels Synchronsprecherin Dorothea Meissner erzählt hier in einem ständig laufendem Dokumentarfilm von einer Wiederaufführung des Märchens in einem Hamburger Kino. Natürlich kennt sie den Film in- und auswendig und war doch überrascht, um wie viel die Wirkung auf der großen Leinwand jene des kleinen Bildschirms zu Hause übertrifft. Und wer da wehmütig bei sich "Ach ja . . ." geseufzt hat, der braucht jetzt nur noch eines zu tun: sich in den Kinosessel sinken lassen.

Worin aber liegt der Zauber dieses Films, der längst zum Kult geworden ist? Zunächst wohl in Aschenbrödel selbst und seiner Darstellerin Libuse Safrankova. Selten glückt einem Regisseur eine so ideale Besetzung wie in diesem Fall. Nahezu überirdisch schön, niedlich und zugleich trotzig, selbstbewusst, frech und damit gar nicht unmodern. Dass im Grimmschen Märchen das schüchterne, stille Aschenbrödel Staubwolken beim Kehren aufwirbelt, die Stiefmutter und -schwester einhüllen, wie es im Film passiert, ist undenkbar. Ebenso ein Aschenbrödel, das reitet wie der Teufel, übrigens ungedoubelt!

Die doch in vielen Zügen moderne Adaption des Stoffes nimmt ihm die Süßlichkeit, so dass schließlich dieses Aschenbrödel mehr Pippi Langstrumpf und der modernen Mädchen-Generation ähnelt als seinen puppenhaften artigen Hollywood- und Disney-Schwestern. Ein Vergleich mit der nicht weniger erfolgreichen Aschenbrödel-Figur "Pretty Woman", die ebenfalls ziemlich kratzbürstig daher kommt, ist vermutlich gar nicht so abwegig. Ähnlichkeiten sind natürlich rein zufällig - aber wohl unvermeidlich.

Besonderen Zauber zieht der Film allerdings aus der nahezu genialen Idee des Regisseurs Vaclav Vorlicek, die Handlung in den Winter zu verlegen. Es heißt, ein Bild habe ihn dazu inspiriert, das Gemälde "Jäger im Schnee" von Pieter Brueghel d. Ä., das er in Wien gesehen hatte. Andererseits wird berichtet, die Dreharbeiten fanden im Winter statt, weil es schlicht für den Sommer genügend Projekte gab, die Angestellten der Defa aber beschäftigt werden mussten . . . Der Schnee sorgte im Übrigen für allerhand Ungemach. Erst gab es zu wenig, dann zu viel, vor allem aber liegt er im Film nicht gleichmäßig hoch, was auch für Zuschauer, die beim ersten Mal dabei sind, relativ leicht zu bemerken ist. Das liegt daran, dass die Außenaufnahmen um das Schloss Moritzburg stattfanden, der Hof der Aschenbrödel-Stiefmutter aber keineswegs wie im Film um die Ecke liegt, sondern die tschechische Wasserburg Svihov bei Klatovy ist. Der Schnee war halt nicht gleichmäßig gefallen . . .

Die Dreharbeiten in zwei Ländern führten zu einem weiteren Kuriosum, das Pferdefreunden genau so wenig verborgen blieb: Der berühmte "Nikolaus", Aschenbrödels Schimmel, ist doppelt besetzt. Wegen Maul- und Klauenseuche konnten während der Drehzeit keine Pferde über die Grenze transportiert werden und so behalf man sich mit tierischen Doubletten. Bei den Dreharbeiten auf deutschem Boden kamen edle Vierbeiner des Landgestüts Moritzburg zum Einsatz, hinter der Grenze mussten tschechische Rösser ran.

Der deutsche Nikolaus war zur Zeit des Filmdrehs längst ein Star - mit Indianererfahrung. Hengst Kalif aus Babelsberg trabte schon in "Die Söhne der großen Bärin" durch die Prärie und trug niemand Geringeren als Chefindianer Gojko Mitic. Kalif wurde übrigens märchenhafte 33 Jahre alt und schaut längst aus dem Pferdehimmel auf die alljährlichen Aufführungen herunter.

Auch mancher Filmschöpfer und Mitwirkende kann sich nicht mehr an dem überragendem Erfolg des Streifens erfreuen. Neben Regisseur Vorlicek beispielsweise auch Filmkomponist Karel Svoboda, dem mit der Aschenbrödel-Melodie ein unglaublicher Coup gelang. Für nicht wenige Fans liegt hier der Schlüssel für die Einzigartigkeit des Films, denn was wären die Szenen ohne den Ohrwurm des Hauptmotivs? Das lässt bei den Zuschauern Dämme brechen, wenn es sentimental wird in der Handlung, ist allerdings auch (leider) auf dem Weg dazu, durch unsägliches Schlagergeträllere oder gar als Klingelton restlos verkitscht zu werden. Aber keine Angst. Nüchtern betrachtet ist die alte ewig junge Geschichte, die mit dem Film zum Leben erweckt wurde, von so großer Vollkommenheit, dass ihr ein paar Auswüchse nun wirklich nichts anhaben können.

Viele vergessene oder bisher unbekannte Anekdoten erfahren Besucher der Ausstellung in Moritzburg. Dort laufen in zwei Dokumentationen, in denen zahlreiche Beteiligte sich voller Freude und mitreißend ihren Erinnerungen hingeben. Rolf Hoppe, Prinz Pavel Travnicek, Synchronsprecher, Szenenbildner, Kostümschneider, Regieassistenten . . . Was hier alles an unglaublichen Details zu erfahren ist, lässt schon staunen.

Nur eine fehlt, nur eine kommt nicht zu Wort und ließ sich auch zur Eröffnung nicht sehen: Aschenbrödel selbst, Libuse Safrankova. Sie freue sich ganz außerordentlich über das ungebrochene Publikumsinteresse, ließ sie wissen und sie bitte um Verständnis, dass sie nicht kommen werde. Die Freunde des Films sollen sie so in Erinnerung behalten, wie sie ihnen als Aschenbrödel ans Herz gewachsen sei. Jung, wunderschön und ein bisschen eine überirdische Lichtgestalt. Und vielleicht ist das ja der Zauber, der Film und Figur einfach unsterblich macht.