Malerei Malerei: Britische Forscher vermuten zweite «Sixtinische Madonna»

Dresden/dpa. - Das kreisrunde Bild, das nur den Oberkörper derMadonna mit dem Kind zeigt und einem britischen Sammler gehört, mutewie ein ausgeschnittenes Detail des seit mehr als 250 Jahren inDresden befindlichen Gemäldes an, berichteten die «Dresdner NeuesteNachrichten» am Freitag. «Für mich sieht es eher wie eine der vielenspäter entstandenen Kopien aus», sagte dagegen der Kurator derDresdner Gemäldegalerie Alte Meister, Andreas Henning, der dpa.
Das Bild habe 20 Jahre lang über dem Kamin einer alten Dame inNordwales gehangen, heißt es in dem Artikel. Nach deren Tod 1981 seies für 369 britische Pfund an einen Sammler verkauft worden, derwegen der Ähnlichkeit mit dem berühmten Original Untersuchungen inAuftrag gab. 1992 habe der britische Kunsthistoriker Murdoch Lothianin einer Dissertation die These aufgestellt, dass der Tondo sogarälter sei als die «Sixtinische Madonna» und damit ein Original. Lauteinem früheren Artikel in der Zeitschrift «Lifescience» datiertenChemiker das Gemälde in die Renaissance, also der Zeit des MalersRaffael.
Überzeugt davon, dass das Bild vor 1700 datiert, ist auch derSpezialist für Raman-Spektroskopie an der University of Bradford,Professor Howell Edwards. Als Beweis habe er ein gelbes Pigment,genannt Massicot, angeführt, das nach 1700 durch ein anderes ersetztworden sei, schreibt die Zeitung. Die These der Briten wird jedoch inDresden bezweifelt. «Das, was wir von Raffael kennen, hat damitnichts zu tun», sagte Henning. Die Ästhetik des Bildes, vor allem dieins Rund gezwängten Figuren, deuteten eher ins 19. Jahrhundert.
«Dem Kopisten ist aufgefallen, dass das Format nicht funktioniert- er hat die Leerstelle mit einem Tuch gefüllt», sagte er. Vorstudienseien in der Renaissance nur als Zeichnungen bekannt. «Eine Ölskizzewäre absolut ungewöhnlich», sagte Henning. «Wir kennen zurSixtinischen Madonna keine einzige Vorstudie und auch den Werkprozessnicht.» Raffaelo Santi schuf das weltberühmte Werk 1512/13 für denAltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza. Auftraggeber für dasBild, das Maria mit Kind sowie den Heiligen Sixtus und die HeiligeBarbara als Schutzpatrone des Klosters zeigt, war Papst Julius II..
Im 18. Jahrhundert erwarb es der sächsische Kurfürst und polnischeKönig August III. von den Mönchen, die Geld brauchten. 1754 kam die«Madonna» nach Dresden, wo sie in der Folgezeit vielfach in Öl oderKupferstichen kopiert wurde. 1945 beschlagnahmte die sowjetischeTrophäenkommission das kostbare Stück, das für mehr als zehn Jahre ineinem Depot in Moskau verschwand. Erst 1956 kehrte die «Madonna» inden Dresdner Zwinger zurück. Trotz aller Zweifel bleibt das Rätsel umden britischen Tondo für Experte Henning spannend. «Es wäre schön,wenn wir etwas aus dem Entstehungsprozess unserer Madonna erfahren.Ich sehe das allerdings in der Londoner Fassung nicht.»