1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. "Magie des Augenblicks": "Magie des Augenblicks": In der Schatzkammer der Moritzburg

"Magie des Augenblicks" "Magie des Augenblicks": In der Schatzkammer der Moritzburg

Von Andreas Montag 11.03.2016, 17:46
Faszinierende Ausstellungsarchitektur in der Moritzburg, links das Gemälde „Die Weiße und die Schwarze“ von Félix Vallotton
Faszinierende Ausstellungsarchitektur in der Moritzburg, links das Gemälde „Die Weiße und die Schwarze“ von Félix Vallotton Jens Schlüter

Halle (Saale) - Welch eine Freude - wenn schon die bevorstehende Wahl manchem Sorgen macht und der Frühling sich einstweilen noch ziert wie eine kapriziöse Prinzessin: Die Ausstellung „Magie des Augenblicks“, die am Freitagabend in der halleschen Moritzburg eröffnet wurde, ist genau so schön geworden, wie Thomas Bauer-Friedrich, der Direktor des Kunstmuseums, es seit Monaten beredt und überschwänglich angekündigt hatte. Nein: Eigentlich ist sie sogar noch schöner geworden.

Es beginnt schon mit dem überraschenden Auftritt der Schau, für die der Sonderausstellungsbereich und einer der Kuben im Obergeschoss zur Verfügung stehen. Die Gestalter haben eine Ausstellungsarchitektur entworfen, die den vertrauten, eher nüchternen und funktionalen Raum in die Schatzkammer eines Schlosses verwandeln. Farbige Stellwände gliedern den Saal, im ausgeklügelten Licht treten die zahlreichen Bilder, überwiegend Gemälde, und wenigen Plastiken wie Edelsteine hervor. Und kostbar sind sie ja in der Tat, nicht nur im materiellen Sinne!

Dass die Begegnung mit Werken von Cézanne und van Gogh, Bonnard, Vallotton und Matisse, sämtlich um die vorige Jahrhundertwende und bis in die 1930er Jahre entstanden, der aus kommunaler Geldnot erfolgten Schließung eines Museums zu verdanken ist, hat im ersten Moment freilich einen gewissen Beigeschmack. Kalt lässt einen das jedenfalls nicht.

Aber die große Tour, auf der die Kunstwerke aus der Sammlung von Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler aus Winterthur in der Schweiz nun unterwegs sind, wird der Villa Flora, dem eigentlichen Ausstellungsort, gewiss nicht schaden, im Gegenteil. Nach der Hamburger Kunsthalle waren die Schätze in Paris zu sehen, jeweils mit großem Publikumserfolg.

Nun ist Halle an der Reihe, bevor Stuttgart den Reigen beschließen wird. Bis zum Herbst, genau ein halbes Jahr lang, wird die „Magie des Augenblicks“ in der Moritzburg zu sehen sein - und Paris liegt gewissermaßen an der Saale. Denn Franzosen sind es zumeist, von deren Kunst das Schweizer Sammlerehepaar begeistert war: Maler, die zu den Postimpressionisten zählen und deren Bildsprache die jungen „Wilden“ in Deutschland, voran die Expressionisten der Künstlergruppe „Brücke“, begeisterten und inspirierten.

„Die französische Moderne trifft die deutsche“, sagt Thomas Bauer-Friedrich und erklärt damit, weshalb gerade Halle ein prädestinierter Ort ist, um Arbeiten aus der Sammlung Hahnloser-Bühler zu zeigen. Immerhin hatte die Moritzburg sich bereits bis zum Beginn der Dunkelzeit des Nationalsozialismus als ein Ort der Moderne einen Namen gemacht, die Aktion „Entartete Kunst“ setzte dem ein jähes Ende. Später, forciert in den vergangenen Jahren, setzte man in Halle wieder massiv auf diese Tradition, mit der Sammlung Hermann Gerlinger kam ein bedeutendes Konvolut expressionistischer Kunst dauerhaft in die Moritzburg.

Überaus sinnfällig kann man nun von der Sonderausstellung französischer Meisterwerke zu den farbkräftigen „Brücke“-Bildern von Heckel, Kirchner oder Schmidt-Rottluff flanieren - und weiter noch, zu den dahinter ausgestellten Zeugnissen der Moderne, von Klimt bis Hofer.

Das sind sämtlich gute Bekannte des regelmäßigen Besuchers der Moritzburg, dem halleschen Gast werden sie vielleicht das eine oder andere „Oh!“ entlocken. Und auf Gäste setzt die Schau natürlich ganz entschieden, die „Magie des Augenblicks“ hat es verdient, das Museum kann Gäste gut gebrauchen. Mag sein, dass mit den erwarteten Besuchern, die auch aus der weiteren Region kommen dürften, der Bann endlich gebrochen wird und das Haus mehr Aufmerksamkeit gewinnt.

An den Franzosen, wie gesagt, wird es nicht scheitern, die sind wahrhaftig überaus delikat. Nicht nur der zahlreichen Akte wegen, aber allein diese Bilder und namentlich die von Félix Vallotton sind schon der Anreisemühen wert. Damals, als das Sammlerpaar Hahnloser-Bühler sie erwarb, haben sie Skandal gemacht - heute sind sie einfach nur Meisterwerke.

Die „Badende, von vorn gesehen“ aus dem Jahr 1907 zum Beispiel ist ein umwerfendes Bild. Keineswegs idealisiert sondern eher in vorweggenommener Sachlichkeit steht die nackte junge Frau bis zu den Oberschenkeln im Wasser, die Augen geschlossen, das Gesicht liegt halb im Schatten, der Leib ist leicht gewölbt. Was vor 100 Jahren provozierend wirkte, nimmt sich heute geradezu rührend aus. Und ist ein Sinnbild der Schönheit. Nicht anders ist es mit dem Gemälde „Die Weiße und die Schwarze“, auf dem eine ruhende nackte Frau eher gleichmütig von einer bekleideten Farbigen betrachtet wird - Modelle wohl, in einer Arbeitspause.

Überhaupt ist dieser Vallotton, den man hierzulande kaum kennt, wohl die Entdeckung der Schau, die unter Schirmherrschaft der Schweizerischen Botschafterin in der Bundesrepublik Deutschland, Christine Schraner Burgener, und des Kultusministers von Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh, steht.

Auch Thomas Bauer-Friedrich, der die Ausstellung gemeinsam mit Angelika Affentranger-Kirchrath von der Villa Flora kuratiert und am Freitag vorgestellt hat, schwört auf Vallotton, dessen Schaffen die Schau breiten Raum gibt. Neben den Akten sind es vor allem Landschaften wie das köstliche Bild „Bois de Boulogne“, aber auch Stillleben und feine Arbeiten auf Papier, die begeistern - Letztere sind in der Box, dem kleineren Teil der Ausstellung, zu sehen. Gesehen haben sollte man sowieso alles in dieser Ausstellung. Gern auch ein zweites Mal.

„Magie des Augenblicks“, bis zum 11. September, Mo, Di, Do. bis So. sowie feiertags 10-18 Uhr, Mi geschlossen; Eintritt 10, ermäßigt 8 Euro (mz)

Vincent van Gogh: Le Semeur (Der Sämann), 1888, Öl auf Leinwand, Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur
Vincent van Gogh: Le Semeur (Der Sämann), 1888, Öl auf Leinwand, Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur
Reto Pedrini, Zürich