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Lotte Ulbricht Lotte Ulbricht: An der Seite des ersten Genossen

Von Jan Wätzold 14.04.2003, 14:57
Lotte und Walter Ulbricht 1968 in Warnemünde. (Foto: MZ-Archiv)
Lotte und Walter Ulbricht 1968 in Warnemünde. (Foto: MZ-Archiv) ADN

Leipzig/MZ. - Wäre es nach dem politischen Ziehsohn ihres Mannes gegangen, Lotte Ulbricht hätte die letzten 30 Jahre ihres Lebens in der Schweiz verbracht. Doch für die Umsetzung des rufschädigenden Planes fehlte es an Geld wie an der Bereitschaft der ehemaligen ersten Frau der DDR, ihr Land in Richtung Westen zu verlassen. Und so überließ es Erich Honecker nach Ulbrichts Tod den Gerüchteköchen des SED-Zentralkomitees, die Witwe seines Vorgängers in eine Villa am Genfer See zu fabulieren.

Das Märchen von der Republikflucht der Polit-Rentnerin hat den Erfinder ebenso überlebt wie die Hauptperson. Als Lotte Ulbricht im März vergangenen Jahres - drei Wochen vor dem 99. Geburtstag - in ihrem Haus im Ostberliner Majakowskiring starb, war die gezielt lancierte Geschichte noch immer quicklebendig. Das gilt auch für andere Halbwahrheiten und Lügen, die der Frau mal eine Affäre mit Herbert Wehner andichteten, mal unterstellten, Walter Ulbricht bei wichtigen Entscheidungen fest im Griff gehabt zu haben.

Dass vieles von dem, was der gläubigen Kommunistin einst von den eigenen Genossen nachgeredet worden war, erst dieser Tage mit einer Fernseh-Dokumentation und einem Buch gerade gebogen werden kann, hat besonders diesen Grund: Erst seit ihrem Tod sind persönliche Aufzeichnungen der gebürtigen Berlinerin der Öffentlichkeit zugänglich.

Jene Halsstarrigkeit, mit der die Rentnerin in zwölf Jahren deutscher Einheit jeden Interviewwunsch ablehnte, mag unter den heutigen Bedingungen von Presse- und Meinungsfreiheit verblüffen. "Doch wer Lotte gekannt hat, kann sich über ihr Schweigen nicht wundern", sagt Wolfgang Leonhard im Anschluss an die Uraufführung des MDR-Streifens "Lotte Ulbricht privat" in Leipzig. Für den Publizisten, der im Mai 1945 mit der "Gruppe Ulbricht" aus dem Moskauer Exil nach Berlin zurückgekehrt war, verkörperte "die bekannte Unbekannte" den "persönlich bescheidenen, politisch aber weder fanatischen noch nachdenklich kritischen Parteiarbeiter". Ihre Hörigkeit gegenüber der Funktionärsspitze habe sie bis in eine Zeit konserviert, in der von dem Apparat gar nichts mehr übrig gewesen sei.

Leonhard, der bald nach dem Krieg mit dem Kommunismus gebrochen hatte und 1949 über Jugoslawien in den Westen geflohen war, hat kurz nach dem Mauerfall noch einmal bei Lotte Ulbricht angerufen. Eisig habe sie seine Bitte um ein Treffen abgelehnt. Doch Groll will sich bei dem einstigen Genossen der Ulbricht-Witwe bis heute nicht einstellen. Er denke gar nicht daran, die Frau zu verurteilen. Weder für ihr persönliches noch für politisches Wirken. "So waren sie, die Treuen", meint Leonhard.