1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Lothar Gall: Lothar Gall: Auf Bismarck und Abs folgt Rathenau

Lothar Gall Lothar Gall: Auf Bismarck und Abs folgt Rathenau

Von Ira Schaible 27.11.2006, 08:32
Lothar Gall (Foto: dpa)
Lothar Gall (Foto: dpa) dpa

Frankfurt/Main/dpa. - Derzeit schreibt der Historiker, der zuden angesehensten in Deutschland gehört, an einem Buch über den 1922ermordeten Politiker, Industriellen und Schriftsteller WaltherRathenau. «Rathenau ist dabei für mich in vieler Hinsicht eineSymbolfigur», sagt der Leibniz-Preisträger, der an diesem Sonntag (3.Dezember) 70 Jahre alt wird. Geplant sei keine reine Biografie,sondern ein Zeitgemälde. «Das ist ein Riesenfeld.»

Trotz seiner Emeritierung als Professor für Mittlere und NeuereGeschichte an der Frankfurter Goethe-Universität vor nahezu zweiJahren hat Gall nicht viel mehr Zeit zum Forschen - so vielfältigsind seine Aktivitäten. «Die Zeit, die ich wunderbar friedlich amSchreibtisch verbringen kann, ist immer auch nur begrenzt», stelltder Wissenschaftler fest, der auch in Gießen, Berlin und Oxfordgelehrt hat.

Neben seinen Rathenau-Forschungen beschäftigt ihn als Präsidentender Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie derWissenschaften seit Monaten die drohende Schließung der Einrichtung.Außerdem ist Gall Vorsitzender des Historischen Kollegs in München,gibt die renommierte «Historischen Zeitschrift» heraus und befasstsich als Herausgeber einer Biografie mit dem ehemaligenVorstandsvorsitzenden von Thyssen, Hans-Günther Sohl (1906-1989). Anseinem Wohnort Wiesbaden sitzt er dem Beirat des Stadtmuseums vor.

Gall sollte und wollte eigentlich Jura studieren. Eine Vorlesungdes Historikers Franz Schnabel in München beeindruckte ihn jedochderart, dass er sich für Geschichte entschied. Schnabel habe seinStudium so angetrieben, dass er bereits mit 22 Jahren mit einerArbeit zum Liberalismus promovierte. Als seinen zweiten Hauptlehrernennt Gall Theodor Schieder, bei dem er sich etwa sieben Jahre späterzum Thema «Liberalismus als regierende Partei» habilitierte.

Neben dem Liberalismus gehören das Bürgertum, die Nation und derNationalstaat sowie die Geistesgeschichte des 18. bis 20.Jahrhunderts zu Galls Forschungsschwerpunkten. In den vergangenenJahren hat sich der Träger zahlreicher Auszeichnungen - darunter derinternationale Balzan-Preis, der immer wieder mit dem Nobelpreisverglichen wird - stärker wirtschaftshistorischen Themen zugewandt.Dazu zählt eine Kollektivbiografie der Krupps, sein Buch über dieEisenbahn in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart sowie einBeitrag im Werk «Die Deutsche Bank 1870-1995».

Das Interesse an seinem Abs-Buch, das er selbst als «ein schweresStück Arbeit» bezeichnet, weil der Nachlass des langjährigenVorstandssprechers der Deutschen Bank erst erschlossen werden musste,erklärt er sich auch mit einer Umbruchphase. Die Menscheninteressierten sich «nun für die Rolle der Wirtschaft im gesamtengesellschaftlichen Prozess mehr als früher».

Gall hat stets die Distanz der Geschichtswissenschaft zur Politikbetont. «Es ist immer eine Grundspannung zwischen Wissenschaft undPolitik, die nicht auf Feindschaft beruht; aber es sind andereGeschäfte.» Seine «Historische Zeitschrift» sieht er als «einverbindendes Glied zwischen den unterschiedlichenwissenschaftstheoretischen Richtungen» und bezeichnet ihreGrundhaltung als liberal. «Alle Kontroversen, die dieGeschichtswissenschaft gehabt hat - wenn sie ein gewisses Niveauenthalten haben - haben wir versucht, widerzuspiegeln.» So habe ersich etwa beim Historikerstreit nicht geäußert. «Das war einepolitische Debatte, keine wissenschaftliche.»

Seinen 70. Geburtstag wird der zweifache Vater und Großvatervoraussichtlich groß feiern, nicht nur privat mit rund 90 Gästen,sondern auch an der Uni. Die organisiert einen Festakt, bei dem ihmauch eine Festschrift überreicht werden soll. Die Feiern beginnenaber schon eine knappe Woche vor seinem Geburtstag, wie Gallberichtet. Dann wird seiner Frau, der Opernsängerin und MainzerMusikprofessorin Claudia Eder, der mit 25 000 Euro dotierteAkademiepreis des Landes Rheinland-Pfalz überreicht. «Natürlichbeschäftigt mich das, was sie macht, die Musik - das ist auch etwas,was mich intensiv mich konzentrieren lässt.»