«Lore» «Lore»: Hallenserin spielt Hauptrolle in Oscar-Kandidat

Halle (Saale)/MZ. - Das US-Filmbranchenblatt "Variety" bezeichnet die 19-Jährige als "aufregendes neues Talent" und die Jury der deutschen Film- und Medienbewertung sieht in der Hallenserin "vielleicht die Entdeckung dieses Filmherbstes".
Doch wer Saskia Rosendahl trifft, vergisst den Kritikerbeifall. Vergisst, dass ihr erster "richtiger Film", wie sie "Lore" nennt, bereits mehrfach ausgezeichnet wurde und dass das Werk der australischen Regisseurin Cate Shortland kommendes Jahr für Australien ins Rennen um den Auslands-Oscar geht. Starallüren kennt die Abiturientin einfach nicht.
Nicht mal ein Hauch von Hollywood umweht die gefeierte junge Schauspielerin, die noch bei ihren Eltern wohnt und zum Gespräch in einem halleschen Café in Pulli, Stoffhose und flachen Lederstiefeln erscheint. Der kinnlange, blonde Bob ist verwuschelt. Sie habe den 11-Uhr-Termin "fast verschlafen", murmelt sie entschuldigend, obwohl sie keine Minute zu spät gekommen ist.
Als sie den ersten Schluck von ihrer heißen Schokolade genommen hat, ist es plötzlich da - das-Saskia-Rosendahl-Lächeln. Ehrlich, verletzlich, etwas verträumt und doch selbstbewusst - einfach hinreißend. Und dann fällt einem auf einmal alles wieder ein - die Kritiken, die Preise, die roten Teppiche. Schon früh entdeckte die Tochter einer Zahnarzthelferin und eines Psychotherapeuten ihre Liebe zu den darstellenden Künsten - ihrem Weg folgt sie seitdem instinktiv, ohne übertriebenen Ehrgeiz.
Mit sieben Jahren fing sie an, im Kinderballett der Oper Halle zu tanzen. Später trat sie mit dem halleschen Improvisationstheater "Kaltstart" auf und übernahm eine Rolle in "Angst im Spiel", einer Produktion des Neuen Theaters Halle. Mit 16 Jahren wuchs ihre Begeisterung für das Filmschauspiel, sie schickte ein Demoband an eine Potsdamer Agentur - und wurde prompt genommen. Kurz darauf folgte ein Werbespot für "Krüger Kaffee", eine kleine Rolle in der Kinoproduktion "Für Elise" - und dann kam "Lore".
Es ist die Vielfalt ihres Ausdrucks, die Saskia Rosendahl zu einem hoffnungsvollen Filmtalent macht. Und ihr tiefes Interesse an komplexen und widersprüchlichen Figuren wie der "Lore", der Hauptfigur des gleichnamigen Films, der 1945 am Ende des Krieges in Süddeutschland spielt. Die deutsch-australisch-britische Koproduktion wurde im vergangenen Sommer in Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Schleswig-Holstein gedreht - größtenteils während der Schulferien.
Saskia spielt darin die 15-jährige Tochter ranghoher Nazis, die mit dem Glauben an Führer, Volk und Vaterland aufgewachsen ist. Nachdem ihre Eltern von den Alliierten verhaftet worden sind, macht sie sich mit ihren Geschwistern auf den Weg zur Großmutter - quer durch Deutschland.
"Lore ist ein unglaublich komplexer Charakter", erklärt Saskia Rosendahl, "sie ist stark geprägt von der Ideologie, muss die Mutterrolle für ihre Geschwister übernehmen und muss mit ihrer erwachenden Sexualität umgehen lernen." Sehr intensiv habe sie sich gemeinsam mit der Regisseurin, mit der sie ausschließlich Englisch sprach, auf ihre Rolle vorbereitet: "Wir haben BDM-Lieder gesungen und Dokus über das Dritte Reich und Nachkriegsdeutschland geschaut." Shortland sei für die damals 17-Jährige am Set wie eine Mutter gewesen.
Am Ende des Drehs habe Saskia das Gefühl gehabt, die Nazi-Zeit ein Stück weit erlebt zu haben. So sehr habe sie sich in die Rolle eingefühlt. Auch wenn sie zum Teil Angst hatte, sich ganz der Ideologie ihrer Filmfigur hinzugeben. "Manchmal hat sich mein Körper gesträubt, beispielsweise gegen den Hitlergruß."
Nach den 36 Drehtagen sei sie in ein Loch gefallen, erzählt sie. Zum Glück habe sie die Schule gehabt. Das Interesse ihrer Mitschüler an der Latina, dem Landesgymnasium in den Franckeschen Stiftungen Halle, an ihrem Film war groß. Doch es sei schwer gewesen, das Erfahrene in Worte zu fassen. "Zu dem Film macht man sich lieber erst einmal alleine seine Gedanken."
Sie stürzte sich in ihr letztes Schuljahr, das Abi schloss sie mit der Note 1,4 ab. Mittlerweile stand sie bereits für zwei weitere Produktionen vor der Kamera. Trotzdem weiß sie, dass man sich nie sicher sein kann, wie lange "das mit der Schauspielerei läuft". Doch eine Alternative habe sie momentan nicht. "Ich überlege, ob ich an die Schauspielschule gehen will." Ihr fehle das Handwerk.
Doch bis dahin will sie im halleschen Figurentheater "Märchenteppich" aushelfen. Die Vorstellungen gefallen ihr dort. Seit Montag kocht sie Tee, stellt Kerzen auf und sitzt an der Kasse. Bodenständiger kann ein Filmstar nicht sein.